Feuerflut
sich niemand meldete, drückte er versuchsweise die Klinke und stellte fest, dass die Tür unverschlossen war. Wen hätte man hier auch schon aussperren sollen?
Er trat ein.
Im Hauptraum der Lodge war es dunkel und stickig. Vor dem Kamin stand ein lädierter, fleckiger Bohlentisch, der offenbar für Geselligkeiten und als Esstisch diente. Eine flackernde Öllampe befand sich darauf und beleuchtete mehrere topografische Land- und Meereskarten. Es sah aus, als hätte sich vor Kurzem jemand damit beschäftigt.
Gray öffnete den Jackenreißverschluss, damit er notfalls leichter an die SIG Sauer herankam, die im Halfter steckte.
»Was ist?«, fragte Monk.
Gray blickte sich um. Es war hier zu still. Die vielen Karten passten eher zu einer Einsatzbesprechung als zu einem Jagdausflug. Weiter hinten stöhnte jemand.
Gray zog die Pistole und eilte an der Wand entlang, die Waffe im Anschlag. Seichan deckte die andere Raumseite ab. Monk postierte sich an einem Fenster und blickte nach draußen.
Gray warf einen Blick ins Hinterzimmer und sah einen drahtigen alten Mann. Er war an einen Stuhl gefesselt, seine Nase gebrochen, die Lippen aufgeplatzt und blutig. Das musste Olaf Bragason sein. Gray checkte erst den Rest des Vorderraums, dann trat er durch die Tür. Außer dem alten Mann war niemand da.
Als er das Geräusch von Grays Schritten hörte, bewegte er den Kopf. Mit trübem Blick musterte er den Fremden, dann sank ihm das Kinn wieder auf die Brust.
»Nei, nei …« , stöhnte er leise. »Ich habe Ihnen doch schon alles gesagt.«
»Anscheinend weiß noch jemand über den Neutrinoausbruch Bescheid und ist uns zuvorgekommen«, sagte Seichan zu Gray.
Man brauchte nicht lange zu rätseln, wer das war. Aber woher wusste die Gilde von der Insel? Misstrauisch musterte er Seichan, der sein Blick nicht entging. Sie spannte sich zornig an, wirkte aber auch verletzt. Sie wandte sich zur Tür. Sie hatte sich große Mühe gegeben, ihre Loyalität unter Beweis zu stellen. Sein Misstrauen hatte sie nicht verdient.
Gray legte ihr die Hand auf den Arm, eine wortlose Entschuldigung. Doch er hatte keine Zeit, sich um ihre verletzten Gefühle zu kümmern. Er winkte Monk zu sich heran. »Ich durchsuche die Lodge. Hilf du dem Verwalter. Wir müssen ihn hier wegschaffen. Man hat uns bestimmt schon beobachtet.«
Eine laute Explosion dröhnte über die Insel und ließ die Fensterscheiben erbeben. Gray eilte nach vorn. Er wusste, wie sich eine TNT-Detonation anhörte. Aus dem Lavageröll in der Mitte der Insel stieg eine dunkle Rauchwolke auf. Ein Schwarm schwarz-weißer Papageientaucher flatterte in Panik durch den Rauch. Jemand versuchte, sich einen Zugang ins Innere der Insel zu verschaffen.
Eine Bewegung fiel ihm ins Auge. Acht Männer richteten sich hinter den Felsen auf und rückten geduckt über die Wiese vor, wobei sie die Deckung der Findlinge nutzten. Sie waren mit Gewehren bewaffnet, die Zielfernrohre funkelten im Sonnenschein. Das waren die Jäger, von denen Captain Huld gesprochen hatte.
Offenbar hatte die Jagd soeben begonnen.
22:14
Präfektur Gifu, Japan
Jun Yoshida war am Schreibtisch eingeschlafen. Als angeklopft wurde, schreckte er auf. Bevor er sich fassen konnte, stürmte Riku Tanaka ins Zimmer, Janice Cooper folgte ihm auf den Fersen.
»Das müssen Sie sich ansehen«, sagte Tanaka und klatschte einen Stapel Papiere auf den Schreibtisch.
»Was? Gab es schon wieder einen Neutrinoausbruch?« Jun straffte sich, was einen stechenden Schmerz im Rücken zur Folge hatte. Er war vor drei Stunden aus dem Hauptlabor in sein Büro gegangen, um Papierkram zu erledigen, der noch immer unberührt auf dem Schreibtisch wartete.
»Nein … ja, doch … eigentlich nicht«, stammelte Tanaka und winkte aufgeregt ab. »Es kommt nach wie vor zu kleineren Ausschlägen. Ich habe sie aufgezeichnet, halte sie aber nicht für besonders wichtig.«
Dr. Cooper fiel ihm ins Wort. »Das ist nicht der Grund, weshalb wir Sie gestört haben, Dr. Yoshida.« Sie wandte sich an Tanaka. »Zeigen Sie’s ihm.«
Tanaka trat um den Schreibtisch herum und kam ihm dabei unangenehm nahe. Er schob einen Stapel Papiere beiseite und legte seine Ausdrucke auf die freigeräumte Stelle. »Wir haben den Ausbruch in Island überwacht. Die Ergebnisse grafisch dargestellt. Hier können Sie sehen, dass die Neutrinoemissionen in immer kürzeren Abständen aufeinanderfolgen.«
»Darauf haben Sie bereits hingewiesen.«
»Ja. Ich weiß.« Tanaka errötete. Offenbar
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