Feuerflut
Gummiwürfel von etwa sechzig Zentimetern Kantenlänge aus dem Plastiksack und schwamm los.
Er stieß gegen Monk, der sein Paket ebenfalls freibekommen hatte. Ollie hatte er sich unter den Arm geklemmt. Der alte Mann regte sich nicht, hatte das Bewusstsein verloren. Wahrscheinlich war er ertrunken. Gleich nach dem Aufprall hatte Gray nach dem Piloten gesehen. Er hing tot in den Gurten. Ein großes Metallteil hatte ihm den Hals durchbohrt.
Da kam jede Hilfe zu spät.
Jetzt, da sie hatten, was sie brauchten, schwammen Monk und Gray aus der offenen Luke ins schummrige Meer hinaus. Über ihnen lockten Sonnenschein und Atemluft. Aus eigener Kraft würden sie es niemals bis an die Wasseroberfläche schaffen, auf keinen Fall aber rechtzeitig, um bei Ollie Wiederbelebungsmaßnahmen einzuleiten. Gray aber verdankte dem Mann sein Leben. Und er war fest entschlossen, sich zu revanchieren.
Gray reichte sein Gummipaket an Monk weiter. Luftblasen kamen aus dem Mund seines Freundes, als er mit der Handprothese den daran befestigten Griff packte. Er sah die Qual in Monks Augen; vermutlich sah er selbst nicht besser aus. Wenn die Kälte sie nicht umbrachte, würden sie bald an Luftmangel sterben.
Gray packte mit einer Hand Monks Gürtel, um Ollie in die Mitte zu nehmen. Zunächst aber betätigte er den Seilzug an der seitlich am Paket angebrachten Druckluftflasche.
Das Paket blies sich auf und entfaltete sich zu einem gelben Rettungsfloß. Die Rapid Deployment Crafts, kurz RDC, wurden normalerweise aus der Luft zu Ertrinkenden abgeworfen. Gray konnte nur hoffen, dass diese eigentlich nicht vorgesehene Verwendung zum Erfolg führen würde. Durch den Auftrieb des Floßes wurden sie nach oben gezogen – erst langsam, dann immer schneller.
Sekunden später schossen sie durchs Wasser.
Gray klammerte sich an Monk und Ollie fest, während sie nach oben gezogen wurden. Es wurde stetig heller. Grays Gier nach Luft entlud sich in einem Schrei, womit er das reflexhafte Einatmen von Salzwasser vermeiden wollte.
Er hoffte, dass seine Lungen noch eine Weile durchhielten.
Aufgrund des Sauerstoffmangels verengte sich sein Gesichtsfeld und verdunkelte sich seine Sicht, sodass er nicht erkennen konnte, wie weit sie es noch bis zur Wasseroberfläche hatten.
Dann schossen sie wie der Korken aus der Sektflasche aus dem Wasser. Das Floß schnellte ein Stück in die Höhe, riss sie mit sich. Sie flogen durch die Luft und klatschten aufs Wasser nieder. Gray schaffte es, Ollie festzuhalten. Monk klammerte sich ans Rettungsfloß.
Gray spuckte, holte keuchend Luft, hustete Wasser aus. Monk band sich die Festmachleine des Floßes um die Hüfte. Am Bug blinkte eine kleine Notleuchte. Während sie am ganzen Leib zitterten und ihre Zähnen klapperten, kletterten sie aus dem eiskalten Wasser. Gray zog Ollie aufs Floß, und Monk untersuchte ihn rasch.
»Keine Atmung, aber schwacher Puls.«
Monk wälzte Ollie auf den Bauch und begann mit der Herzdruckmassage. Auf dem schwankenden Gummifloß war das gar nicht so einfach. Wasser strömte Ollie aus Mund und Nase. Als Monk zufrieden war, wälzte er ihn wieder auf den Rücken. Die Haut des alten Mannes war leichenhaft blass. Dank seiner medizinischen Ausbildung ließ Monk sich nicht entmutigen. Er begann mit der Beatmung.
Gray sandte ein Stoßgebet gen Himmel. Er stand in Ollies Schuld. Außerdem hatte ihnen die Flucht von der verfluchten Insel schon einen viel zu hohen Preis abverlangt. Gray streifte den Rucksack ab, den er dem Zivilisten des Einsatzteams abgenommen hatte. Den hatte er nicht im sinkenden Helikopter zurücklassen wollen. Der Rucksack stellte die ganze Ausbeute dieses Einsatzes dar.
Aber wie hoch war der Preis, den sie dafür hatten zahlen müssen?
Er blickte sich um. Er nahm an, dass Seichan durch die Strömung aus der Kabine gerissen worden war. Große Hoffnung machte er sich nicht. In dem eiskalten Wasser konnte man nur wenige Minuten lang überleben.
Wo war sie abgeblieben?
Gray ließ den Blick übers Wasser schweifen, doch der dichte Rauch im Süden der Insel verschluckte alles. In jede Richtung konnte er nur ein paar Meter weit sehen. Es roch nach brennendem Schwefel und nach Salz, doch wenigstens war es recht warm.
Die Sonne am Himmel war eine blasse orangefarbene Scheibe. Viel heller als die nahe Insel. Die Überreste von Elliðaey waren nur ein paar Hundert Meter entfernt. Die Insel war ein dunkler Schatten, gekrönt von einer Feuerkrone. Flammen loderten, an den Seiten floss
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