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Feuerfrau

Feuerfrau

Titel: Feuerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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gewartet, klemmten die Lyraspieler ihre Instrumente unter ihr Kinn. Im gleichen Atemzug strich ihr Bogen über die Saiten. Der erste Ton erklang, wie aus der Luft geboren; ihm folgte, eifrig wie eine Spinne, die ihren Faden ins Leere wirft, die Melodie: ein schwingender Rhythmus, eine seltsame, zirpende Weise, die mich erschauern ließ. Nun hob der Trommler die »Daouli«. Und während seine Hände weich und kraftvoll das Trommelfell schlugen, begann Stavros mit rauher, tiefer Stimme zu singen. Die Anwesenden fielen ein; ihre Stimmen mischten sich in eine fremdartige, faszinierende Polyphonie. Die Töne folgten einander, stiegen und fielen, eine kreisende Vibration, eine Kraft, die aus dem Boden stieg, wie Rauch. Das Herz des Zaubers war erwacht, pulsierte unter dem Trommelfell, bebte in den Saiten der Lyren. Der gebrochene, immer wieder wechselnde Übergang von einer Tonart zur anderen drang mir durch Mark und Bein. Der Rhythmus kam zu mir aus den Tiefen des Blutes, aus dem Unbewußten, aus früheren Welten.
    Die Strophen erzählten von der Erdgöttin und ihrem Sohn einem Jüngling in der Blüte seiner Schönheit und Kraft. In heftiger Liebe zu ihm entbrannt, tötete ihn die Mutter, damit keine andere Frau ihn begehren solle. Sie verbrannte den Leichnam, verstreute seine Asche auf dem Feld; überall dort, wo die Asche hinfiel, wuchsen Getreide und Blumen. Denn alles war ein Spiel, der ewige Kreislauf, der die Sterne in Bewegung hält.
    Gewiß, der Jüngling schien unter dem Messer zu sterben, sein rotes Blut die Erde zu tränken, doch sein Tod war nur der Übergang zu einem höheren Leben. Die Göttin saß am Herdstein des Weltalls und webte die kosmische Struktur; die Spindel drehte sich in ihrer Hand, durchlief die ewigen Zyklen von Tod und Wiedergeburt, ließ die Sonnentage wachsen und die Finsternis schwinden.
    Die Menschen sangen mit ernsten Gesichtern, die Augen ins Leere gerichtet; manche folgten dem Rhythmus mit dem Körper, andere saßen vollkommen steif da, mit fest verschränkten Armen, als ob sie ihre Regungen drosseln wollten. Die Luft wurde stickig. Mit beherrschten Schritten im Kreis stampfend, bewegte sich Stavros in die Mitte des Raumes; einer nach dem anderen traten die Anwesenden zu ihm hin. Er reichte ihnen die Ikone, die sie für ein paar Augenblicke an sich preßten, als ob sie ihre Kraft aus dem Bildnis bezögen. Schließlich übergab Stavros die Ikone einem älteren Mann mit verhärmten Zügen. Dieser schmiegte seine Wange an das Bild, berührte es mit den Lippen, hob es mit beiden Armen hoch. Sein flackernder Blick wurde allmählich glasig, seine Augen verdrehten sich. Nach einer Weile übergab er die Ikone der jungen Frau, die als erste getanzt hatte. Sie drückte die Ikone mit finsterem leidenschaftlichen Ausdruck an die Brust, als hielte sie ihren Liebhaber in den Armen. Zwei andere Ikonen wurden ebenfalls von den Tanzenden herumgetragen, während einige lediglich die roten Tücher schwenkten.
    Alle bewegten sich im Rhythmus der Musik, und doch tanzte jeder auf seine eigene Weise; nichts regelte ihre Schritte, nichts vereinte sie miteinander. Die einzige Regel schien ein Schaukeln des Körpers zu sein, ein konvulsives Stampfen. Manche hielten die Arme an Brustkorb oder Hüften gepreßt, warfen ihren Körper zuckend herum. Andere hielten sich aufrecht, den Kopf hoch erhoben; wieder andere beugten sich vor, das Becken wie gebrochen. Mir fiel auf, daß sie kaum die Arme oder die Hüfte bewegten: Im Gegenteil, je tiefer sie in ihrer Trance versanken, desto verhaltener wurden ihre Bewegungen, fast steif. Die Gesichter glänzten vom Schweiß, viele hielten die Augen geschlossen. Die Kraft, die sich in ihnen anstaute, kam nur in ihrer Stimme zum Ausdruck; sie atmeten keuchend, wie in der Liebe, stießen seltsame Silben hervor, die sich wie
    »Ach, Ech, Och« anhörten. Das muß der Grund sein, dachte ich, weshalb man sie die »Seufzenden« nennt.
    Fasziniert sah ich, wie die Mutter das kranke Mädchen an den Schultern festhielt, tanzend mit ihr vor die Ikonen trat. Auch der schmale Körper des Kindes war eigentümlichen Zuckungen und Stößen ausgeliefert, aber nach und nach schienen ihre Glieder den Rhythmus zu erfassen. Und ebenso fühlte ich, daß auch ich hineingezogen wurde, mitgerissen in das konvulsive Stampfen. Wieder überkam mich dieser Eindruck, daß ich mich aus meinem Körper löste, gewissermaßen um ihn herum schwebte. Der unermüdliche, pochende Rhythmus ließ mir keine Ruhe.

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