Feuerfrau
ziemlich starkes Mischvolk. Was uns verbindet, ist eine gleichartige Weltanschauung, sozusagen ein gemeinsames Lebensgefühl. Zu meinen Vorfahren gehören Spanier und Franzosen, wobei in unserer Familie das Indianerblut überwiegt. So kann ich sagen, daß ich ganz und gar Mexikaner bin.«
Einer der Männer, der an der Bar gestanden hatte, kam und verabschiedete sich. Er klopfte Manuel nach griechischer Art auf die Schulter, schenkte mir ein breites Grinsen und ging.
»Das ist mein Freund Markos«, sagte Manuel mit Nachdruck. »Er war Hochseefischer, Kellner, Friseur und Bergführer.«
»Und jetzt lassen Sie Ihren Freund meinetwegen im Stich?«
»Das macht dem nichts. Wir kennen uns erst seit zwei Stunden.«
Ich lachte, und er lachte auch. Dann sagte ich:
»Ich war noch nie in Mexiko. Meine Arbeit führt mich vor allem in Mittelmeerländer. Ich lebe in Paris«, setzte ich hinzu, »aber ursprünglich bin ich Italienerin.«
»Wenn es Ihnen lieber ist, können wir französisch sprechen«, sagte er.
»Ich war auch eine Zeitlang in Paris.«
»Was haben Sie dort gemacht?«
»Architektur studiert. Vier Semester lang.«
»Und wozu sind Sie in Griechenland?«
»Ich reise. Ich sehe nur die Gegend an. Gegenwärtig habe ich nichts Besseres zu tun.«
»Ich kenne das«, sagte ich und lachte.
»Ich bin seit fünf Monaten hier. Heute morgen bin ich in Thessaloniki angekommen. Eigentlich wollte ich weiter, über die bulgarische Grenze.
Aber dann entschloß ich mich, die Nacht hier zu verbringen.«
»Warum?«
Er zog die Schultern hoch.
»Einfach so, ohne eigentlichen Grund.«
Ich lächelte ihn an.
»Ein Glück, nicht wahr?«
Er lächelte zurück, in einer sonderbaren Unbefangenheit und sehr herzlich.
»Ein Glück auch für mich.«
Jetzt, wo er französisch sprach, kam sein weicher, kehliger Akzent deutlicher hervor. Er hatte immer noch diese behutsame Aussprache, die seine Stimme so tief und fesselnd klingen ließ.
»Und Sie? Was machen Sie hier?«
»Ich bin Diplomgeologin, spezialisiert auf archäologische Vulkanologie.
Daneben befasse ich mich mit altgriechischen Kulturen.«
»Mit der Frage ihres Untergangs?«
»Ja, natürlich. Was kann man anderes tun, als sich mit dieser Frage zu beschäftigen?«
Er nickte.
»Die Erfahrung von Zeittiefe, ich kenne das von Mexiko her. Als ob wir durch ein Krankenhaus gingen, ohne etwas von den Kranken zu erfahren.
Vielleicht suchen wir am falschen Ort? Sollten wir nicht lieber in uns selbst forschen?«
Er hatte leichthin gesprochen. Schon möglich, daß er nur mit dem Gedanken herumspielte. Er hatte etwas Kindliches an sich. Die Art, wie er mich ansah, war ein ruhiges, freundliches Abschätzen. Es lag keine Neugierde in seinem Blick, nur ein leicht bewunderndes Staunen. Nach einer Weile sagte er in einem ganz bestimmten Ton:
»Sie sind mir sofort aufgefallen. Zwangsläufig«, setzte er mit Nachdruck hinzu, so daß ich wieder lachen mußte.
»Eine Rucksacktouristin, in einer Hafenkneipe, um Mitternacht! Der patriarchalische Süden, nicht wahr? Wissen Sie, Tabus interessieren mich nicht. Ich habe mich nie an das gehalten, was als unpassend und undurchführbar angesehen wird. Mir ist auch gleichgültig, was die Leute reden oder von mir denken.« Er blinzelte mich an.
»Und gerade deshalb können Sie Dinge tun, die andere nicht tun würden.«
Wir lachten beide. Ich sagte:
»Das ist keine Provokation, glauben Sie das ja nicht. Ich bin nun mal so.
Unterentwickeltes macht mir keinen Spaß.«
Seine Augen funkelten amüsiert.
»Wozu auch? Mit Nachsicht werden die Dinge nicht besser. Im Gegenteil.«
»Das leuchtete mir schon als Kind ein. Irgendwann habe ich begonnen, nur das zu tun, was ich wollte, und mich dann so daran gewöhnt, daß ich nicht mehr anders konnte. Das gab mir ein Gefühl, als ob ich nach jeder beliebigen Richtung Energien warf. Das hört sich vielleicht komisch an, aber besser kann ich es nicht sagen…«
Ich stockte, biß mir auf die Lippen. Warum erzählte ich ihm über die zwei Hälften in mir? Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte ihm gesagt, wie schwer es mir fiel, die beiden miteinander in Einklang zu bringen. Daß ich so zu ihm sprach, war mir ein Rätsel.
Ich war etwas aufgeregt. Sein Blick machte mich betroffen. Er sah mich mit soviel Sympathie an. Vieles war jetzt nicht mehr wichtig. Ob er wohl alle Menschen so ansah? »Sie haben etwas bewirkt«, sagte er. »So ist das mit diesen Dingen. Sich bemühen führt zu nichts. Man muß nur
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