Feuerfrau
schlimmsten Fall konnte ich zum Bahnhof gehen und im Wartesaal übernachten. Aber soweit würde es wohl nicht kommen.
Der Mann im roten Hemd beobachtete mich; viele Männer sahen mich an, die meisten schamlos offen; dieser tat es auf erstaunlich unauffällige Weise. Mir war, als ob sein Wesen mich behutsam einkreiste. Er nickte beiläufig zu dem, was die Männer sagten, aber er hörte nicht zu: Er war viel zu sehr damit beschäftigt, mich wahrzunehmen. Er sah zwar südländisch aus, und trotzdem war etwas an ihm, was ihn von den anderen unterschied.
Ich hätte nicht sagen können, was es war. Auf seinem Gesicht stand ein leichtes Lächeln. Ich glaubte nicht, daß dieses Lächeln mir galt, doch ich fühlte in mir ein seltsames Flattern, und hatte immer noch das unglaubliche Gefühl, daß ich ihn kannte. Wobei mein anderes Ich, das klar und vernünftig dachte, mit absoluter Gewißheit wußte, daß ich ihn zum erstenmal sah.
Unwillkürlich lächelte auch ich; mir war kaum bewußt, daß ich es tat, als die Tür aufging und zwei Männer hereinkamen Matrosen offenbar. Der eine war dunkelhäutig, unscheinbar. Der andere, hochgewachsen und kräftig, hatte das verwegene Gesicht eines Schelms. Beide gingen an die Theke, bestellten Bier. Der großgewachsene Mann ließ seine Augen umherwandern; er sah mich und fuhr fort, mich anzustarren. Ich seufzte innerlich auf. Kamaki – Anmache – jetzt ging es los. Der junge Mann im roten Hemd hob sein Glas zum Mund. Unsere Augen begegneten sich; ich sah, wie er die Lider leicht zusammenkniff. Inzwischen nahm der Matrose sein Glas in die eine Hand, seine Flasche in die andere, sagte ein paar leise Worte zu seinem Begleiter und kam zu mir.
»Are you alone?« sprach er mich im kehligen Englisch an. »It’s too late to be lonely.« Er deutete auf den Stuhl neben mir. »Bora no?… Kann ich?«
»I am not alone«, sagte ich laut und sah zur Bar hinüber, »I am here with a friend.«
Der Mann im roten Hemd erwiderte mein Lächeln; diesmal ohne Vorbehalt; er lächelte wie ein Halbwüchsiger, dem gerade ein guter Streich gelungen ist. Als ob er nur auf diesen Augenblick gewartet hatte, nahm er sein Glas, trat gleichmütig zu uns und blieb vor dem Tisch stehen. »Kali spera – guten Abend«, sagte er höflich zu dem Matrosen, »wir sind zu zweit.« Sein Griechisch war gut, aber ich konnte weder seinen Akzent deuten noch sein Aussehen mit irgendeiner Nationalität in Verbindung bringen. Der Matrose maß ihn mit einem kurzen, abschätzenden Blick. Der Mann mit dem roten Hemd war jung, sein Knochenbau schmal. Doch sein ruhiges Verhalten und seine Sprechweise drückten ein Selbstvertrauen aus, das an Gleichgültigkeit grenzte. Der Matrose war kein Dummkopf; er murmelte eine Entschuldigung, nickte mir zu und ging zu seinem Begleiter zurück. Beide standen jetzt an der Bar, tranken ihr Bier und kümmerten sich nicht mehr um uns.
Ich lächelte den Unbekannten an und deutete auf den Stuhl neben mir.
»Danke. Sie haben mir aus der Klemme geholfen. Möchten sie etwas trinken?«
Er kniff verschmitzt die Lider zusammen.
»Der Ouzo ist mir zu stark. Ich trinke lieber Limonade. Und Sie? Was trinken Sie?«
»Der Kaffee ist gut. Ich nehme noch einen.«
Er rief den Wirt und gab die Bestellung auf. Er sprach jedes Wort genau für sich aus, sprach sozusagen die Interpunktion mit, wie ein Schüler, der in der Klasse einen Text vorliest. Dann wandte er sich wieder an mich.
»Ich heiße Manuel Vargas.«
Ich nannte meinen Namen. »Woher sind Sie?« setzte ich hinzu.
»Ich bin Mexikaner.«
Ich starrte ihn an.
»Darauf wäre ich nicht gekommen!«
Er blinzelte verschmitzt.
»Wieso nicht?«
Ich betrachtete ihn. Sein Haar, das ihm weich über die Stirn fiel, war nicht glatt, sondern leicht gewellt; ein rötlicher Schimmer schien auf dem Schwarz zu glimmen. Mir fiel plötzlich auf, daß er nicht nur ein gut aussehender Mann war; er hatte eine Haut von ganz gleichmäßiger Tönung, goldbraun und fest. Sein Gesicht war schmal, von dem klar gemeißelten Kinn bis zu den weit auseinanderstehenden, braunen Augen, die ein wenig schräg unter ganz geraden, flaumigen Brauen standen. Sie glänzten unglaublich jugendlich, aber an seinen Augenwinkeln waren kleine Fältchen sichtbar, und die Adern auf seinen schlanken Armen zeichneten sich sehr deutlich ab.
Der Wirt brachte eine Limonade und einen Kaffee. Während ich das heiße Getränk umrührte, sagte Manuel:
»Kein Wunder, eigentlich. Wir Mexikaner sind ein
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