Feuerfrau
schweren, rauhen Seufzer aus: »Ach, Ech, Och«, als ob sie aus diesen Lauten ihre Kraft bezögen. Das heisere Röcheln skandierte die Schritte, mit denen sie jetzt den Funkenteppich betraten. Und wunderbarerweise erstarb aller Lärm, sogar die Zirkusmusik schwieg. Ein seltsamer Schauer streifte die Zuschauer, als ob sie plötzlich zu einem Teil von etwas Großartigem und Ergreifendem wurden. Die Seufzer der Tanzenden, das Knistern und Zischen der zerstampften Holzstückchen erfüllten den Platz. Der Widerschein der Glut spielte unwirklich auf ihren Gesichtern, während sie sich um sich selbst drehten. Einige beugten sich vor und zurück, mit steifen, ruckartigen Bewegungen, andere hoben die Ikonen hoch, während sich ihre Arme im Schattenspiel gespenstisch verlängerten. Nichts regelte ihre Schritte, nichts verband sie miteinander. Jeder tanzte auf seine Weise, und dennoch war in diesen Bewegungen ohne jede Regel und Form eine undefinierbare Einheit, eine Harmonie zu spüren, die von keinerlei Gesetz abrang, aber alles bestimmte. Manche schritten traumwandlerisch über die Glut andere stampften mit aller Kraft, als ob sie die Kohlen mit den Füßen löschen wollten. Ihre Gestalten, der Trance überlassen schimmerten rötlich überhaucht. Auf einmal trat die kleine Yulla in mein Blickfeld, und was ich sah, raubte mir fast den Atem. Die Bewegungen des Kindes waren gelöst und geschmeidig, sie lächelte anmutig, ihr Gesicht glänzte golden. Neben ihr tanzte die Großmutter, sie führte ihre Enkelin mit leichtem Druck ihrer rechten Hand, während sie mit der Linken den Saum ihres Kleides hielt, damit es nicht mit dem glühenden Boden in Berührung kam.
Der süßlich-herbe Duft der Holzkohle berauschte. Die Lyren warfen ihre Melodien über Kreuz, die Töne schwirrten aus den Saiten empor.
Unter den Händen des Trommlers pochte die »Daouli« wie ein stetiges Herz; ein Rhythmus, stark und bezwingend, so alt wie die Menschheit selbst. Was früher war, vor Jahrtausenden, war Teil des Körpers geworden, jede Zelle hatte es in ihrem Gedächtnis bewahrt. Die meisten Menschen hatten die Träume der Vorzeit vergessen; die Anastenariden gedachten ihrer. Denn der Mensch hatte einst die wunderbarste seiner Fähigkeiten von sich geschoben und sie auf seine Götter übertragen. Im Laufe seiner Entwicklung hatte er sich selbst entweiht, sich dem Zweckmäßigen zugewandt. Doch es gab Menschen, die sich auf das zurückbesinnten, was sie der Gottheit geliehen hatten, und es wieder in sich aufnahmen. Und ich erinnerte mich an gewisse Dinge, die ich tat, als ich ein Kind war, und auch später noch. Und warum mußte ich jetzt dastehen und zusehen, wie die Anastenariden tanzten, wie sie mit ihren Füßen das Muster des Lebensbaumes zeichneten? Warum konnte ich da nicht mitmachen? Hörst du die Trommel, Manuel? Die Trommel ahmt das Herzklopfen nach, den gleichen, lebendigen Rhythmus. Den Rhythmus, den der Embryo hört, neun Monate lang. Das ist eine lange Zeit, meinst du nicht auch? Zeit, sich daran zu gewöhnen, mit diesem Geheimnis vertraut zu werden. Und dann wird das Kind geboren, es lebt sein Leben, aber sein Blut erinnert sich an diesen Klang, solange Atem in ihm ist…
Eine Art Zorn stieg in mir auf. Ich wußte, wie man mit diesen Schwingungen in Verbindung trat, es war wirklich nicht schwierig, im Grunde sogar lächerlich einfach. Es war kaum anzunehmen, daß ich es nicht schaffte. Dieser Zustand war ein wunderbarer Traum, eine Ekstase.
Wie dumm, daß ich darauf verzichten mußte! Die Anastenariden tanzten vor meinen Augen, sie taten diese Sache, die mir vertraut war. Ich. wollte dort hingehen, wo sie waren. Zeigen, daß ich dazugehörte. In dieser Nacht, die keiner anderen glich, wollte ich dabeisein, Manuel. Mir würde schlecht, wenn ich noch länger wartete, ich würde es nicht mehr ertragen! Das müßtest du doch verstehen. Gerade du.
»Ja, Ariana. Und was soll ich tun?«
Hatte er die Frage wirklich gestellt? Einerlei; ich hörte nur meine eigene Stimme, hörte die flüsternden Worte, die ich zu ihm sprach. Ich wußte auch nicht, warum ich sie sagte; sie mußten wohl irgendwie notwendig sein.
»Zieh dein Hemd aus! Schnell!«
Er fragte nicht, wozu. Er sprach überhaupt kein einziges Wort. Die schwarzen Augen ruhig auf die meinen gerichtet, knöpfte er sein rotes Hemd auf, zog es aus den Jeans und ließ es über seine Arme gleiten. Ich nahm sein Hemd und zog es über; es duftete warm nach seiner Haut, ein leicht
Weitere Kostenlose Bücher