Feuerfrau
doch so ruhig wie nur je, umgeben von Stille, die ganze Erscheinung erfüllt von Feinfühligkeit und Verständnis. Das Blut pochte mir in der Halsader, in den Schläfen. Noch als die behutsame Hand sich auf meine legte, traute ich meinen Augen nicht, mir schwindelte. Er war lautlos zu mir getreten, ebenso lautlos wie Nonnas Geist. Er mußte erwacht sein, als ich das Bett verließ. Das ferne Knirschen und Rascheln im Korridor mochten seine leisen Schritte gewesen sein, als er mir im Dunkeln folgte…
Sekundenlang stockte mir der Atem, dann schlug mein Herz so fest, daß es schmerzte. Und während ich ihn fassungslos anstarrte, nahm er mir das Streichholz aus der Hand, schüttelte es, ohne ein Wort. Der Feuerball platzte mit dem üblichen Zischlaut. Schlagartig wurde es dunkel im Raum.
Und in dieser Finsternis legte Manuel beide Hände um meinen Hals, zog mich fest an sich.
»Sei ruhig«, flüsterte er, »sei ganz ruhig…«
Ich drückte zitternd mein Gesicht an seine Schulter, unfähig zu sprechen. Trotz Manuels äußerlicher Ruhe war seine Erregung spürbar; er atmete ebenso hastig wie ich, und sein Herz klopfte hart unter den Rippen.
Ich hörte mich leise stöhnen, bevor ich langsam wieder zu Verstand kam.
Unklar, doch wirklich, stand alles vor mir. Bisher hatte ich alle Dinge diszipliniert im geordneten Zusammenhang betrachtet. Ich hatte das Faszinierende einer Tatsache untersucht, statt ihr zu unterliegen. Aber zu irgendeinem Zeitpunkt hatte ich die Kontrolle über mich selbst verloren.
Bei diesem Gedanken erfaßte mich ein Schauer. Vergeblich forschte ich nach dem Gefühl, das mich zu diesem kopflosen Verhalten bewogen hatte; nur verschwommene Empfindungen stellten sich ein. Nonnas Lied war verstummt. Was auch immer diese Sache gewesen sein mochte, ich konnte sie wieder objektiv sehen, durch Sinnestäuschungen verursacht und ebenso gefühlsduselig wie gefährlich.
»Ich bin schon wieder in Ordnung«, stieß ich hervor.
An Manuels Atemzügen merkte ich, wie auch bei ihm die Anspannung nachließ. Sein leises Lachen klang dicht an meinem Ohr.
»Du kannst nicht sagen, ich hätte nichts für dein seelisches Gleichgewicht übrig, Querida.«
Er löste sich von mir, doch nur, um nach dem Schalter zu tasten und Licht zu machen. Ich blinzelte im Schein des verstaubten Messingleuchters; kein Reich der Schemen und Schatten war mehr hier, nur ein Wohnzimmer, ziemlich schäbig sogar und dazu noch vollgestopft mit Gerumpel. Casa Monte zeigte sich ohne Maske: ein altes Haus voller modriger Gerüche und mumifizierter Erinnerungen, mit verschimmelten Matratzen, zerfetzten Vorhängen und mottenzerfressenen Teppichrollen. Mit einem Mal verstand ich, warum mein Vater nicht wollte, daß ich allein in Casa Monte war.
Auch er sah und hörte verborgene Dinge, selbst wenn er gewisse Empfindungen beargwöhnte und es vorzog, sich zu distanzieren und sich auch ein wenig darüber lustig zu machen. Ich rieb mir verstört die Augen.
»Habe ich dich erschreckt?« fragte ich Manuel.
Er grinste leicht.
»Ich würde sagen, daß du dich etwas ungewöhnlich benommen hast.«
»Ich habe schlecht geträumt.«
»Das mag schon sein. Schlafmangel reizt die Nerven.«
»Hältst du mich für verrückt?«
Sein Gesicht wurde ernst. Er legte mir beide Hände auf die Schultern.
»Es könnte auch sein, daß du großen Kummer hast.«
Ich schluckte.
»Schon jahrelang. Ich glaube nicht, daß ich etwas daran ändern kann.«
»Hab Geduld. Mir scheint, daß du jetzt davon loskommen wirst.«
Er sprach heiter und vernünftig, betörend erfüllte mich das Gefühl, daß er mich weder verurteilen noch mir Vorwürfe machen würde, mir lediglich seine Ruhe schenkte, sein Verständnis. Er wußte, ich war ein besonderer Mensch; er nahm auch dieses hin, wie alles andere, nahm es als etwas, das zu mir gehörte.
Ich lächelte ihn an.
»Es wird bald hell.«
»Gleich fünf«, stellte er fest, mit einem Blick auf die Uhr.
»Möchtest du noch etwas schlafen?«
»Nein. Ich will lieber an die frische Luft.«
»Deine Schuhe sind noch oben. Warte, ich hole sie dir.«
Ich preßte seine Hand. Er sollte mich nicht alleinlassen. Auch nicht für ein paar Minuten. Die innere Gespanntheit war gewichen, aber da gab es Sachen, die ich möglichst nicht wiederholt haben wollte.
»Laß nur, ich kann barfuß gehen.«
Ich riegelte die Haustür auf. Kühle Morgenluft schlug uns entgegen. Die Sterne verblaßten, im Kastanienbaum sang eine Schwarzdrossel. Wir gingen über
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