Feuerfrau
ihm angeboten hatte. Völlig gebannt von meinem Spiel, hörte ich weder den Motor anspringen, noch Nonna ins Haus kommen und die Tür verriegeln. Plötzlich ging das Licht an. Nonna kam in die Küche und sah mich neben dem Herd stehen. Ich hielt das Streichholz in Augenhöhe. Die Flamme war schon so groß wie eine Tulpe.
Es war, als ob das Feuer seine Flammen nach außen warf, während es sich innen von seiner eigenen Kraft nährte. »Ma che fai, cara?« hatte Nonna ganz ruhig gefragt. Unsere Blicke begegneten sich quer durch den Raum.
Ich hatte das Streichholz höhergehalten, damit sie es besser sehen konnte.
»E bello… es ist schön!«
Nonna hatte lächelnd genickt. Ihre Stimme klang unendlich zärtlich.
»Una fiore azzurra… eine blaue Blume! Bellissima!«
Gemeinsam hatten wir zugeschaut, wie sich die Flamme entfaltete, durchsichtig wurde und zerplatzte. Dann hatte Nonna meine Hand genommen und mich aus der Küche geführt, mit den Worten:
»Es ist spät, Piccina, komm schlafen.«
Mir kam in den Sinn, daß sie damals weder Schrecken noch Überraschung gezeigt hatte. Sie hatte mich nicht ausgeschimpft und auch keine Frage gestellt. Und später, Jahre danach, hatte sie mir erzählt, daß auch sie als Kind dieses Spiel kannte. Ihr Vater hatte sie dabei ertappt, sie grün und blau geschlagen. Die nachträgliche Angst, mit dieser Erinnerung verknüpft, hatte ihr Vertrautsein mit dem Feuer gestört. Die Gabe verkümmerte und verschwand schließlich ganz.
Ich mußte wieder eingeschlafen sein; plötzlich erwachte ich und hörte sie singen. Mein ganzer Körper verkrampfte sich; ich spürte wieder ein Pulsieren in meinem Kopf. Eine Weile lag ich da und wußte nicht, wie ich reagieren sollte. Nonnas Lied wehte durch Mauern und Gänge, durch verlassene Zimmer und alte Vorhänge.
»A la feria de l’est per due soldi…«
Das Lied war mir vertrauter als jedes andere; sie hatte es damals gesungen, an jenem fünfzehnten August, als ich unsere Gesichter im Spiegel sah und zum ersten Mal feststellte, wie ähnlich wir uns waren.
»Ariana, vieni qui …«, sagte Nonna.
Die Worte hallten; auf eigentümliche Weise sah ich sie ebenso, wie ich sie hörte: Sie flimmerten wie rotgrüne Neonlichter, ihrer rhythmischen Leichtigkeit wohnte ein Ziehen inne, das mich in seinen Bann schlug. Ich merkte, wie meine Anspannung zunahm, so daß ich den Atem anhielt und irgend etwas – den Zipfel der Wolldecke – umklammerte. Dann ließ ich den Atem wieder ziehen und lag eine Zeitlang ruhig und locker da, bis die Spannung sich von neuem auflud. Die Temperatur war gesunken, es schien mir sogar reichlich kühl im Zimmer; in den frühen Stunden vor Tagesanbruch, wenn die Vögel noch schliefen, flüsterte Casa Monte eindringlich und erregt, mit der Stimme von Nonna. Es war, als hätte ich plötzlich ein neues Ohr – und ein Auge, das in der Dunkelheit sah. Nonna war überall, irrte nebelgleich durch das Haus, von der alten Kornkammer bis zum Keller; ihre Füße berührten roten Marmor, huschten über das morsche Holz der Loggia. Sie bewegte den Kopf auf und ab, ihr schwarzes Haar verfing sich in den vertrockneten Maiskolben an der Wand; sie schwang sich in den Kastanienbaum, schwebte in den Zweigen im Mondlicht. Ein Veilchenduft hing in der Luft, die freundliche Stimme lockte mich durch Mörtel und Steine.
»Vieni, Piccina, vieni qui…«
»Aspetta, Nonna…«
Manuel schlief, atmete tief; er lag jetzt auf der Seite. Im Mondschein sah ich ihn lange an. Im Schlaf hatte sein Gesicht einen etwas kindlichen Ausdruck; es verwirrte mich, daß er so jung aussah. Weder Härte noch Bitterkeit hatten seine Züge gezeichnet; und doch lag auf seinem Angesicht schon die Festigkeit und Ausgeglichenheit des reifen Menschen. Sprache, Lächeln, selbst Blicke können täuschen, jeder Schauspieler bringt das fertig. Aber auf dem entspannten Gesicht eines Schlafenden zeigt sich sein tiefes Wesen. Ich fand es schwer, meine Augen von ihm abzuwenden, aber ich durfte ihn jetzt nicht wecken. Erst nachher, wenn ich die Sache hinter mir hatte. Dann mußte ich sogar ziemlich schnell zu ihm kommen, damit ihm nichts passierte.
»Ma che fai, Ariana?«
Ein Rascheln, kaum hörbar: Nonna kratzte an der Tür. Sie wurde allmählich ungeduldig. Es wurde Zeit, bald brach der Tag an. Ich wollte sie nicht länger warten lassen.
»Vengo, Nonna!«
Ich schwang behutsam meine Beine aus dem Bett, stellte die Füße auf den Boden. Barfuß ging ich zur Tür, wobei ich mein
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