Feuerfrau
Engel –, eine Visagistin, die Nackttänzerinnen und Modelle für den Laufsteg schminkte, ein holländischer Maler und ein thailändischer Kellner. Das Haus war schon alt. Alle möglichen Geräusche drangen durch die Wände: Fernsehprogramme bis spät in die Nacht, das Trommeln von hohen Absätzen, treppauf, treppab, das Klappern von Kochtöpfen. Man hörte jeden Streit, jedes Quietschen der Matratzen.
»Das alte Paris«, sagte Carmilla.
Die Wohnung war heruntergekommen, aber geräumig. Aus einem Dachfenster fiel helles Licht in das großzügige Arbeitszimmer. So ein Atelier, meinte Carmilla, sei heute kaum noch zu bezahlen. Irgendwann sollte der Gebäudekomplex verschwinden, durch moderne Bürohäuser ersetzt werden. Deswegen stiegen die Mieten nicht. Die Krise der neunziger Jahre hatte den Baurausch zum Stocken gebracht. Aber der Hausmeister wollte nichts mehr investieren. Carmilla war es gleich.
»Ich habe zehn Jahre Galgenfrist. Bis dahin werde ich Erfolg haben und mir eine bessere Wohnung leisten können.«
Das sagte sie seit fünfzehn Jahren. In gewisser Hinsicht war der Erfolg längst da. Sie entwarf Stoffdesign, von Hand und auf Computer, entwickelte Muster für Bodenteppiche, Vorhänge und Bettwäsche. Die
»Galeries Lafayette« und einige bekannte Couture-Häuser verkauften ihre exklusiven Seidendrucke. Im Laufe der Zeit hatte sie sich eine feste Kundschaft geschaffen und hätte viel Geld verdienen können. Aber sie konnte nicht »auf Befehl« arbeiten, sie mußte »in Stimmung dafür sein«.
Sie stotterte, wenn sie eine Auftragsbestätigung forderte, und einen Lieferschein zu schreiben war für sie ein Drama.
In ihrer Wohnung hatte sie die schmuddelige Tapete heruntergerissen, die Wände weiß getüncht. Der Spannteppich war entfernt worden, so daß der schöne Parkettfußboden wieder zur Geltung kam. Carmilla hatte nur wenige Möbel: Einige Stücke vom Flohmarkt standen neben High-Tech-Kreationen aus dem Billigladen. Sie zauberte mit exotischen Bettüberwürfen und Kissen, mit hellen Vorhängen und großen Topfpflanzen. In ihrem Atelier stapelten sich Bildbände und Zeitschriften.
An den Wänden waren Ausschnitte aus Zeitschriften, Einladungen für Vernissagen und Modeschauen geheftet. Auf dem großen Tisch, neben dem Durcheinander von Farbtuben, Pinseln, Lappen und Werkzeugen, lag das angefangene Aquarell einer Sonnenblume. Jede Farbschattierung, jede Struktur der Blütenblätter und Körner war liebevoll und mit fast fotografischer Exaktheit wiedergegeben.
»Das wird das Muster für einen Seidenschal«, sagte Carmilla.
Ich seufzte, bewundernd und etwas neidisch.
»Toll! Wenn ich bedenke, daß ich im Zeichenunterricht eine Null war…«
»Du hast dich mit anderen Dingen befaßt.«
Ihre Stimme klang gereizt. Sie hatte die Plakate natürlich gesehen, sie klebten ja an jeder Säule. Ich überhörte die Anspielung; ich wollte keinen Streit.
Carmilla war schmalgliedrig und reichte mir knapp an die Schulter. Sie trug enge Hosen und eine Art indischen Kittel darüber. Ein Schal in leuchtenden Farben war um ihren Hals geschlungen. Sommer und Winter trug sie diese Schals. Sie war oft erkältet und litt unter Halsschmerzen, schon seit Jahren, ohne daß man die Ursache dafür fand. Eine psychosomatische Allergie, die sie vor Zigarettenkonsum und Drogenmißbrauch bewahrte. Immer wieder wunderte ich mich, wie diese zarte Frau mit dem dunklen Wuschelkopf und den verwirrten Augen es fertiggebracht hatte, ein Geschöpf wie mich in die Welt zu setzen. Sie lebte in den Wolken. Und mit Männern hatte sie immer Pech.
»Da hast du also Giuseppe gesehen«, sagte sie. »Nun, wie geht es ihm?«
»Gut. Er hat Casa Monte einem Engländer verkauft.«
Für Carmilla war das eine gute Nachricht.
»Das scheußliche Kitschmuseum? So! Hat er endlich einen Dummen gefunden? Aber Giuseppe war schon immer sehr geschickt darin, die Leute um den Finger zu wickeln. Das liegt bei ihm in der Familie. Was willst du für einen Tee? Darjeeling oder Jasmin?«
Sie ging in die Küche, füllte Wasser ein und drehte die Gasflamme an.
Die Küche war eng und voller Gerumpel. In der Spüle stapelte sich schmutziges Geschirr, der Mülleimer quoll über. Ich schnupperte.
»Irgendwas riecht faul.«
Sie zog erstaunt die Nase kraus.
»Wie kommst du darauf? Ich rieche nichts…«
Der Gestank kam von einer Plastiktasche. Ich warf einen Blick hinein, sah einen verfaulten Kohl und zerquetschte Tomaten.
»Oh!« rief Carmilla. »Ich habe
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