Feuerfrau
werden eine neue Lust erleben, anders und größer. Wir werden einander nichts wegnehmen, sondern alle Gefühle teilen, unsere Sehnsucht mit neuen Gaben bereichern. Du und ich, Amadeo, wir haben etwas dazugelernt: Wir wissen nun, wie es ist, wenn die Lust einen Umweg macht, durch einen anderen Körper hindurchfährt und zu uns zurückkommt, mit solcher Gewalt.
Musik und rhythmisches Händeklatschen schallten plötzlich lauter durch die Nacht. Meine Lungen sogen den Geruch nach Holzkohle ein. Wir hatten uns von der Menge entführen lassen und jetzt den Festplatz erreicht.
Zwischen den Wohnwagen, die sich weithin über den Strand verteilten, waren bunte Lampions aufgehängt; Scharen von Nachtfaltern, von den Lichtern angezogen, flatterten auf. Auf einmal tauchte ein rötliches Feuer auf, dann noch eins; unzählige Lagerfeuer flackerten in der Dunkelheit.
Noch ein paar Schritte, und das Fest der Romanos brach vor uns in all seiner Klangfülle aus, in all seinen Farben und Bewegungen. Vor jedem Feuer standen oder saßen Gruppen von Menschen, schwarze Gestalten, wie mit Tusche auf dem Gold der Flammen gemalt. Man trank Bier und Wein, röstete Hühner oder Kaninchen an Spießen. Hier und da hatten die Frauen große Kessel auf drei Mauersteine gestellt, damit Kleinholz daruntergelegt werden konnte. Die Luft war stickig vom Dunst der vielen Zigarren und Zigaretten. Der Duft nach kochender Suppe, nach Olivenöl und gebratenem Fleisch mischte sich in die Gerüche nach Holzkohle, Staub, Thymian und Jasmin. Alle Musiker spielten zusammen drauflos, bemüht, einander zu übertönen, so daß die Klänge weit über den Strand wehten. Die Gitarren erhitzten sich unter schlanken Händen, die Geigen jubelten, die Ziehharmonikas schütteten Gelächter durch die Nacht. Frauen und Mädchen schlugen Zymbeln oder kleine flache Trommeln, mit Glöckchen versehen; andere ließen Kastagnetten klappern. Jeder spielte auf seine Weise, ganz nach Wunsch und Laune. Nichts regelte die Klänge, nichts vereinte sie miteinander. Und dennoch war in dieser zündenden, unerhört fröhlichen Musik ohne jede Regel und Form, in diesen Stimmen, die mühelos den Tönen folgten, in diesem fiebrigen Händeklatschen eine undefinierbare Harmonie zu spüren. Sie kam aus dem Fieber des Blutes, aus der Sehnsucht, aus dem Stolz ferner Jahrhunderte, aus der Ekstase der Sippe. Denn die Romanos empfanden die Musik nicht nur als Klang, sondern als Bewegungsimpuls. Alle, die nicht musizierten, klatschten in die Hände, folgten den Melodien mit dem ganzen Körper. Die Frauen sangen aus voller Kehle. Ihre Stimmen waren kühl und metallisch, manchmal auch rauh, fast heiser. Ihre Haut schimmerte olivenfarbig, goldgetönt oder elfenbeinblaß. Ihre Zähne blinkten, das aufgelöste Haar schwang um ihre erhitzten Wangen. Ihr beschleunigter Atem hob und senkte die Ketten auf ihrer Brust, ihre Ohrringe warfen kleine Funken. Für die älteren Leute hatte man Stühle, Bänke und sogar Sessel herbeigeholt. Das Essen servierte man ihnen auf abgenutzten Campingtischen. Kinder liefen zwischen den Erwachsenen herum, stibitzten Fleisch- und Gemüsestückchen aus den Kochtöpfen, rollten sich im Sand, hüpften und kreischten vor Vergnügen.
Es waren vor allem Mädchen und Burschen, die tanzten, mit wiegenden Hüften und stampfenden Füßen. Traten ältere Frauen oder Männer in den Kreis, machte man ihnen respektvoll Platz, feuerte sie mit Zurufen und Händeklatschen an. Ihre Schritte waren nur angedeutet, die Bewegungen verhalten, doch völlig dem Rhythmus angepaßt, der ihnen seit der Kindheit im Blut lag. Manche Frauen waren mehr als füllig, ihre Glieder schwerfällig, die Gesichter längst verwelkt. Hoheitsvoll und selbstbewußt glitten sie hin und her, fast ohne sich zu bewegen. Ihre grellgemusterten Kleider, ihre verfilzten Strickjacken trugen sie mit der Würde von Königinnen.
Wir kamen nur langsam vorwärts: fast bei jedem Schritt wurden wir von Frauen und Männern aufgehalten, die uns begrüßten. Herzliches Gelächter klang auf, viele drängten sich heran, um mich und Lola zu umarmen und Amadeo freundschaftlich auf die Schulter zu klopfen. Einige kannten mich von früher: Alte Frauen preßten mich mit erstaunlicher Kraft an ihre Brust, überhäuften mich mit Küssen. Eine Romnia mit rehbraunen Augen wollte mir die Hand küssen, doch ich nannte sie »Schwester« und umarmte sie und sogleich lief eine Welle zärtlicher Zuneigung durch die Menge.
Esmeralda, Matteos Frau,
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