Feuerfrau
Göttin zu berühren. Wir gingen weiter, gestoßen und halb erdrückt von der Menge, zwängten uns die enge, dunkle Treppe hoch. Frauen stolperten über ihre Röcke, rafften die Falten zusammen, wobei sie kicherten oder kleine Schreie ausstießen. Und dann waren wir wieder im flackernden Helldunkel der Kirche, immer noch berauscht von der dumpfen Luft, von den Farben und Gerüchen und von unseren eigenen Gefühlen, bis es plötzlich ruhiger um uns wurde und wir draußen standen, unter dem Sternenhimmel.
Die Menge umringte uns, drängte sich in die Kirche, flutete wieder hinaus. Wir traten zur Seite, atmeten tief die kühle Nachtluft ein. Kinder zündeten Knallfrösche an, sprangen fröhlich kreischend zurück.
Jugendliche hatten einen Kreis gebildet, die Röcke der Mädchen wirbelten, die Burschen klatschten in die Hände. Eine Feuerwerkrakete stieg hoch in die Dunkelheit, zersprühte in einer glutroten Garbe. Vielfältige Funkenbündel standen sekundenlang am Himmel, bevor Tausende hellglühender Tropfen von der Höhe herabrieselten. Lola holte einen Taschenspiegel hervor, zeichnete mit dem Fettstift ihre Augenbrauen nach, ordnete ihren Schal und steckte ihre Blume am Ausschnitt fest.
»Gehen wir! Es ist schon spät. Alle sind schon beim Tanz. Hörst du die Gitarren, Pitchounette? Was machst du für ein Gesicht? Hast du Heimweh nach früher?«
Ich lächelte traurig.
»Ich mache mir das Leben schwer, Lola.«
Sie legte den Arm um mich, lächelte unendlich lieb.
»Sich das Leben schwermachen ist kein Leben. Das Leben ist schön.
Los, ihr drei! Was steht ihr da herum wie müde Leute, statt zu feiern?«
»Hau ab, Lola, wir sind nicht in Stimmung dazu«, murmelte Amadeo.
Sie hob ihre lebhaften Augen zu ihm empor, als richte sie eine Frage an ihn. Doch er wich ihrem Blick aus, schwieg verstockt.
»Ts, ts!« machte sie verärgert, schwenkte ungeschickt auf ihren hohen Absätzen herum und versetzte ihm, ohne zu zögern, einen Fußtritt.
»Das wird dich lehren, höflich zu den Alten zu sein. Schlaf mal wieder bei den Pferden, damit du dich auf bessere Manieren besinnst! Heute ist das Fest der Mutter. Schämst du dich nicht, deinen Gästen die Laune zu verderben?«
»Hör auf, wie eine Stute auszuschlagen«, zischte Amadeo. »Wer flickt deine Knochen, solange Wassilio nicht da ist?«
Doch er setzte sich in Bewegung; wir folgten ihm, an Gruppen von lachenden, singenden Menschen vorbei. Zwischen beiden Männern war ein hartes Schweigen aufgekommen. Keiner ließ auch nur ein Wort hören. Man hätte glauben können, sie verspürten Angst, einen Zauber zu brechen. In der Krypta – im Kern des Labyrinths – hatten wir einen Augenblick völliger Verzückung erfahren, ein gemeinsames Eintauchen in die warmen, dunklen Gewässer der Lust. Amadeos schamlose Unbekümmertheit hatte Manuels ruhiges Abwarten zerschlagen. Seine Stimmung, sein Verhalten hatten plötzlich eine andere Wendung genommen. Er, der sich bis dahin heiter und besonnen gezeigt hatte, wurde nach dieser Sache in der Krypta mit einem Schlag von einer Erregung gepackt, die fast an Wut grenzte. Ich blickte in sein Gesicht; es schien unbeteiligt, aber an seiner Unterlippe war ein leichtes Zucken wahrzunehmen. Ich selber bemerkte, daß mir die Beine zitterten, und versuchte meine Muskeln zu straffen. Wäre Amadeo im herkömmlichen Sinn pervers gewesen, hätte sich Manuel vielleicht leichter damit abfinden können. Manuel war eine beständige Flamme, Amadeo ein Waldbrand. In ihm war etwas ungeheuer Wildes, Reines: keine Verderbtheit, sondern Unschuld. Er zähmte seine Wünsche nicht und trug auch keine Maske; er verlangte nach mir, mit aller Kraft seiner Seele, ließ seinen Körper für ihn sprechen und trieb diesen Grundsatz bis zum Äußersten. Manuel spürte dies alles; zum ersten Mal las ich auf seinen Gesichtszügen jene Eifersucht, die man selbst nicht mehr aufhalten kann.
Und auch ich konnte keine Ruhe bewahren. Amadeo und ich reagierten wie auf Knopfdruck, hemmungslos, brutal und vollkommen synchron. Ich weiß, was du fühlst, Amadeo, ich stecke ja in deiner Haut: Du hast erlebt, wie ein anderer mich küßte, und in der Woge deiner eigenen Lust dabei den Höhepunkt erreicht. Das kam unerwartet, das war nicht geplant. Jetzt bist du in Aufruhr, und natürlich haßt du Manuel dafür so, daß du ihn am liebsten umbringen würdest. Aber das Spiel leite ich, wie damals am Ufer der Seine, weißt du noch, Amadeo? Heute nacht werden wir Manuel zu uns nehmen. Wir
Weitere Kostenlose Bücher