Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuerfrau

Feuerfrau

Titel: Feuerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
dem Andersartigen, dem Unberechenbaren und dem Unausgedrückten.
    Wir schlossen uns der Menge an, die über den Platz ging. Unter Regenschirmen standen die Zuschauer vor dem Billetwagen Schlange. Ich bedeutete den anderen, zu warten und bückte mich, um unter die Seilabsperrung zu schlüpfen. Durchnäßt trat ich an die Kasse, vorbei an der Schlange der Wartenden. Ein paar Ungeduldige murmelten etwas von Vordrängen, während ich zusah, wie Lola einem Mann das Wechselgeld gab. Sie machte es schnell, gewissenhaft. Ihr runzeliges Gesicht, hell gepudert unter der schwarzen Stirnfranse, war über ihre Hände geneigt, die flink wie die eines Äffchens waren. Als sie den Kopf hob, begegneten sich unsere Blicke. Ihre kirschroten Lippen teilten sich zu einem Lächeln voller Güte. Sie war weit über siebzig, aber ihr Ausdruck war immer noch das einer jungen, sich ihrer Schönheit bewußten Frau.
    »Ach, Pitchounette, du hast deine Haare geschnitten? Hübsch siehst du aus!«
    Ihre Stimme klang, als hätten wir uns erst gestern verabschiedet. Ich sagte ihr, daß ich eine zusätzliche Karte benötigte.
    »Kein Problem, ma cherie! Viel Vergnügen. Wir sehen uns nach der Vorstellung.«
    Ich steckte die Karten in die Tasche meines Mantels und stapfte den gleichen Weg zurück.
    »Schon erledigt?« sagte Martin. »Das ging aber schnell!«
    Er redete aufgeräumt, im gespielt fröhlichen Ton. Ich beachtete ihn nicht. Er stand plötzlich abseits von mir; und er war feinfühlig genug, um zu spüren, daß ich mich von ihm löste, daß mein Geist irgendwohin wanderte, wo er mir nicht folgen konnte. Hartnäckig, verbissen, versuchte er mit mir Schritt zu halten. Doch ich war schon weit weg, in einem anderen Land der Seele.
    Im Gedränge stapften wir dem weiß erleuchteten Zelt entgegen. Ganz zu Anfang war Amadeo mit seinen Pferden unter freiem Himmel aufgetreten, auf Festplätzen, in Stadien und Vororten. Als ich ihn kennenlernte, war er schon Besitzer seines ersten Zeltes, das Firmin Bouglione ihm überlassen hatte, bevor er seinen eigenen Zirkus »Amar« gründete. Das Zelt war schon alt, aber man konnte es noch gut gegen Feuer imprägnieren, sonst hätte es Amadeo nicht gekauft. Damals traten noch Luftakrobaten, Clowns und Seiltänzer unter seinem Chapiteau auf. Später hatte Amadeo diese Nummern aus dem Programm genommen; er wollte sich nur noch mit Pferden befassen, ihre urtümliche Kraft nutzen, um neue Visionen zu schaffen. Keine Regeln, keine Theorie. Die Pferde als Leitfiguren der Seele wurden Teil einer Beschwörung, die sich an die Sinne, den Körper und das Unterbewußtsein wendete und nicht an den Verstand. Dabei hatte er sich erträumt, ein Zelt nach eigenen Plänen anfertigen zu lassen, einen magischen Bereich, einen Ort für die Erscheinung des Unsichtbaren. Jetzt hatte er es also geschafft.
    Bist du immer noch der gleiche? dachte ich. Nein, der gleiche sicher nicht. Aber auch nicht ein anderer. Du bist dir ja schon damals auf halbem Weg entgegengekommen.
    »Wie lange müssen wir hier noch warten?«
    Martins Stimme hörte sich ungehalten an. Wir standen, eingeklemmt in einer Menschentraube, hinter der nächsten Seilabsperrung, während der Regen niederprasselte. In einem großen Zelt, wo die Kantine untergebracht war, brannte trübes Licht. Die Wohnwagen, in denen die Artisten lebten, bildeten eine Art Gasse, während die Wagen für die Pferde zwischen Baulastern und Ausrüstungswagen standen. Manchmal huschte eine Gestalt in großen Sprüngen wie ein schemenhafter Kobold durch den Regen. Das Warten dauerte eine ganze Weile, während sich das Publikum ansammelte.
    Ganz plötzlich wurde ein Geräusch laut: ein tiefes, regelmäßiges Brummen.
    Ein Schauer lief mir über den Rücken. Dieses Geräusch war mir vertraut.
    Amadeo hatte das übliche Musiksignal der Kapelle, eine halbe Stunde vor Beginn der Vorstellung, abgeschafft. Das Zeichen, daß die Zuschauer hineingelassen wurden und die Artisten sich umziehen sollten, bestand bei ihm aus Gongschlägen. Er mußte sie in Thailand oder Indien auf Tonband aufgenommen haben. Die schwingenden Töne wehten jetzt durch die Nacht, behexend wie eine Beschwörung. Sie klangen wie der Summton eines mächtigen Horns, wie Wellenrauschen, wie das Seufzen einer steinernen Flöte. Nun kam ein Schwarzer und löste die Seilabsperrung.
    Zwei Männer kontrollierten die Karten; im Durcheinander stapften die Zuschauer dem schimmernden Zelt entgegen. Der Gong dröhnte jetzt lauter, schneller. Und es

Weitere Kostenlose Bücher