Feuerfrau
mein Haar, stecke es mit den Spangen fest. Um zehn schließt die Aufseherin die Tür auf. Ich werde zu Madame Poniatowska geführt. Carmilla sitzt da, mit geröteten Wangen, in Jeans und Schlabberpulli vom Flohmarkt. Die Direktorin legt die Stirn in hochmütige Falten. Ich werde einem Verhör unterzogen. Ich konnte nicht die Kleider wechseln, dein Geruch ist noch an meinem Körper, aber ich schweige. Die Pflegerin wird gerufen; sie bringt mich ins Nebenzimmer, zieht mich aus. Sie untersucht meine Wäsche, riecht an meinem Körper, stellt Fragen. Ich bleibe stumm. Nach einer Weile darf ich mich wieder anziehen. Die Pflegerin redet leise mit Madame Poniatowska. Diese preßt die Lippen zusammen, sagt, sie könne mich nicht mehr in der Schule behalten. Carmilla ringt verzweifelt ihre Hände. Ob ich nicht wenigstens mein Examen machen könne? Die Direktorin läßt Milde walten; mein Vater hat das Schulgeld bis zum Sommer gezahlt. Ich kann die Prüfung machen, aber getrennt von den Schülerinnen. Du könntest sie verderben, sagt Mademoiselle Dariel, und lächelt abwesend und merkwürdig. Ich höre kaum zu. Ich muß meine Sachen aus dem Schlafsaal holen. Mademoiselle Liard läuft erregt auf und ab, klappert mit dem Schlüsselbund. Die Schülerinnen drängen sich in einem verstörten Halbkreis zusammen. Eleni steht abseits, erschrocken und hilflos. Ich sage ihr mit einem Blick, daß ich sie nicht verpetzt habe. Die Mädchen tuscheln.
Alle starren mich an, als wäre ich gleich nicht mehr vorhanden, verschwunden wie ein Spuk.
»Beeil dich«, sagt die Aufseherin.
Den Flur entlang, eine Treppe hoch, um eine Ecke herum. Ich schleppe meine Tasche. Das Flüstern der Schülerinnen verklingt, das unsichere Trippeln verschwindet treppab. Die Aufseherin geht voraus, das Geräusch ihrer Absätze mit meinem Atem im Gleichklang. Sie schließt eine Tür auf: Ich bin in einem Dachzimmer, weißgetüncht, mit einem Fenster, nicht größer als ein Schuhkarton. Da stehen ein schmales Bett, ein niedriger Schreibtisch, ein Stuhl, ein Schrank. Es riecht nach Hitze und Staub, der Raum wurde schon lange nicht gelüftet. Mademoiselle Liard sagt, sie schlafe im Nebenzimmer. Sie sagt auch, daß ich heute nicht in den Unterricht darf. Und auch nicht im Speisesaal geduldet werde. Sie schlägt die Tür zu, dreht den Schlüssel. Ich setze mich auf das Bett, mit aufrechtem Rückgrat, verschränke die Arme und wippe leicht auf und ab. Das Bett ist so schmal, daß meine Schulterblätter an die Wand reiben. Es ist Mittagszeit, alles ist still. Ich höre nur dieses schleifende Geräusch und meine Atemzüge. Eine Fliege putzt sich an der Fensterscheibe die Beine.
Erst allmählich beginne ich zu begreifen: Du wirst kommen, auf mich warten, und ich werde nicht dasein. Ich tobe und brülle nicht; das ist nicht meine Art. Ich bin ganz ruhig. Wutanfälle? Wozu? Ich weiß, was ich tun könnte, wenn ich wollte. Vielleicht muß ich es tun, wenn der Schmerz zu groß wird. Aber im Augenblick halte ich mich zurück, beschäftige ich mich sowenig wie möglich mit dem Gefühl meiner Niederlage. Ich denke sehr methodisch. Alles zu seiner Zeit, nicht wahr, Amadeo?
Schritte im Flur, die Tür wird aufgeschlossen. Mademoiselle Liard fragt:
»Warum hast du deine Sachen noch nicht ausgepackt?«
Ein Küchenmädchen bringt mir das Essen: Suppe, Gemüse und Fleisch, dazu ein Glas Milch. Sie wirft mir einen mitfühlenden Blick zu.
Mademoiselle Liard entläßt sie mit ungeduldiger Handbewegung. Ich esse sehr langsam und lasse nichts übrig, ich will bei Kräften bleiben. Dann räume ich meine Sachen in den Schrank. Mademoiselle Liard kommt wieder, fragt, ob ich auf die Toilette müsse. Sie begleitet mich, bleibt draußen vor der Tür stehen. Meine Augen brennen. Ich wasche Gesicht und Hände mit kaltem Wasser. Ich weiß nicht, wie ich aussehe. In der Toilette hängt kein Spiegel.
»Los, mach schon«, drängt die Aufseherin.
Sie bringt mich in das Zimmer zurück, erklärt mir die Aufgaben, die ich bis morgen machen muß. Dann nimmt sie das Tablett, schließt die Tür auf, schließt sie hinter sich zweimal fest zu. Der Nachmittag vergeht. Ich sitze am Tisch und mache meine Aufgaben. Mein Kopf fühlt sich heiß und schwer an. Wenn ich lerne, komme ich nicht zum Denken, das ist besser.
Die Kirchenuhr schlägt die Stunden. Die Schatten werden länger; bald geht die Sonne unter. Das Küchenmädchen kommt, das Tablett in der Hand. Es gibt gebackene Eier, Brot, Tee. Mein ganzer Magen
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