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Feuerfrau

Feuerfrau

Titel: Feuerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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heller als zuvor. Ich hörte Amadeo atmen und öffnete die Augen. Er stützte sich mit einem Ellbogen auf und betrachtete mich, mit diesem ernsten Ausdruck, der ihn so jung erscheinen ließ.
    »Ich sehe dich so gerne an«, sagte er. »Du bist so unverändert, nach all diesen Jahren.«
    Ich rückte enger an ihn heran, lehnte das Gesicht in die Beuge zwischen seinen Schultern und dem Hals.
    »Glaube nicht, daß ich schlafe. Oder vielleicht habe ich doch geschlafen, ein paar Minuten. Ich habe an früher gedacht. An diese Nacht, wo sie mich eingesperrt hatten und ich die Schule in Brand stecken wollte.«
    Er lachte leise.
    »Zunächst hast du darüber nachgedacht, ob es sich lohnt.«
    »Darauf kannst du dich verlassen.«
    »Du hast dich immer gut beherrscht. Ich nicht. Ich war ein kompletter Idiot.«
    »Du sagst es.«
    Ich tastete mit beiden Händen über sein Gesicht, die Schläfen entlang, suchte die Narbe.
    »Es fehlte nicht viel, und du hättest dich umgebracht.«
    »Ja. Wenn Josiane mir nicht die Leviten gelesen hätte.«
    »Wie geht es ihr?«
    »Sie arbeitet als Klofrau, in einem Nachtklub in Belleville. In ihrem Alter muß sie nehmen, was kommt. Ich schicke ihr Geld, damit sie das Nötige zum Leben hat. Schließlich schulde ich ihr meines.«
    »Du bist ziemlich unsanft mit dir umgegangen.«
    Er nickte.
    »Später habe ich erfahren, daß Naturvölker sich Wunden zufügen, wenn sie trauern. Sie lindern den inneren Schmerz mit dem äußeren, verstümmeln sich, schneiden sich die Kehle durch. Wie du siehst, reagierte ich sehr… urwüchsig.«
    Ich schmiegte mich an seinen langen, straffen Körper, atmete den rauchigen Duft seiner Haut ein.
    »Es war entsetzlich, Amadeo.«
    »Ich hatte gleich das Gefühl, daß etwas nicht stimmte. Man lebt nicht mit Tieren zusammen, ohne gewisse Instinkte zu entwickeln…«
    Es ist bald Juni, die Nächte sind klar. In der Ferne strömt der Verkehr, ein stetiges Brausen. Stunden vergehen. Die Mondsichel wandert tief. Auf der Silberkugel des Himmels kreisen die Gestirne: der Große und der Kleine Wagen, der Polarstern, die Sieben Schwestern und die Himmlischen Jäger. Da ist etwas Unheimliches in den Sternen, alle sagen dir nein. Du wartest, du wartest. Der Verkehr läßt nach. Paris erstarrt in Dunkelheit und Stille. Vor deinen Augen zerfließen die Sterne zu glitzernden Wassertropfen, zu Nebel, zu Diamantenstaub. Unbestimmte Bilder flattern durch deine Sinne. Ich bin nicht da; ich werde nicht kommen. Nun läuft das Ganze automatisch ab, Ergebnis tausendmal wiederholten Denkens. Es ist wie in jenen Nächten, als du ein Kind warst und wach lagst in einem Raum ohne Fenster und dachtest, die Finsternis würde nie weichen. Du hast dich dann immer im heißen, zerwühlten Bett gewälzt und deine bloße Existenz als Falschheit angesehen. Jetzt bist du erwachsen, aber die Einsamkeit ist immer da; sie ist nicht auszuhalten. Ein kleines Tier mit messerscharfen Zähnen kreist in deiner Brust. Du achtest genau auf die Symptome, wartest, bis es zuviel wird. Du hältst dir mit beiden Händen den Kopf und schließt die Augen. Das Tier zappelt und windet sich zu Tode, nährt sich von der Substanz deines Herzens. Du weißt Bescheid, es geht nicht mehr anders.
    Du hattest schon als Kind deine eigene Methode. Also beißt du die Zähne zusammen und schlägst mit dem Kopf an die Wand; es ist wie ein krachendes Bersten, die Kopfhaut platzt auf, Blut fließt dir über die Augen.
    So ist es gut, so ist es besser. Du schlägst mit dem Kopf, kompromißlos, du folterst dein Gehirn. Du lächelst grimmig, in deiner Stirn pocht und braust es; du stützt dich auf Händen und Knien, das ist kein schlechter Trick. Du öffnest einen Schacht in dir, ein dunkles Loch, einen Abgrund des Nicht-Seins. Die Anstrengung ist gewaltig, dein Mund ist voller Salz und Blut, und weiter unten ist ein Gefühl tiefer Übelkeit.
    »Wie lange schon? Ist es heute oder gestern?«
    Eine letzte, vernichtende Erschütterung. Der Schock eines Falls. Du liegst da mit schwindendem Bewußtsein. Das war ja zu erwarten. Du wunderst dich, daß du überhaupt noch fühlen kannst.
    »Irgendwann wird es vorbei sein.«
    Weit draußen schreit eine Stimme. Sie schmerzt dir im Gehirn, du willst sie nicht hören. Die Stimme schreit weiter. Kein vollständiger Satz, nur herausgestoßene Worte:
    »Du verdammter Scheißkerl, hör auf!… Hör sofort auf. Warum?… Du machst dich ja kaputt…«
    Neben deinem rechten Arm ist ein Geräusch. Du drehst dich um auf

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