Feuerfrau
bekam einen roten Kopf.
Sie sagte Carmilla, sie halte es für ihre Pflicht, die Polizei zu benachrichtigen. Zum Glück waren die Briefe ohne Absender.«
»Ich war verrückt, aber nicht unvorsichtig.«
»Und ich war nicht verrückt, aber unvorsichtig.«
»Ja, das warst du, Herzblume. Das liebte ich so an dir, schon damals: daß du mit klarem Verstand bereit warst, alles aufs Spiel zu setzen.«
»Das Examen ließ sich nachholen. Es gab Dinge, die wichtiger waren.«
»Madame Poniatowska hatte strenge Vorschriften erlassen. Ich durfte wieder in das Klassenzimmer und in den Aufenthaltsraum, aber den Schülerinnen war verboten, mit mir zu reden. Im Speisesaal saß ich allein an einem Tisch. Und jede Nacht sperrte mich Mademoiselle Liard in das Dachzimmer. Eleni und ich verständigten uns mit Gesten und Blicken. Wir tauschten hastig kleine Briefe, die wir in der Toilette oder unter der Matratze versteckten. Carmilla wollte, daß ich auch sonntags im Internat blieb. Immerhin schleppte sie mich zu einem Frauenarzt, der mir die Pille verschrieb. Das war ihr einziger und verspäteter Beitrag zu meiner… sagen wir mal, sexuellen Aufklärung. Inzwischen spazierte ich im Schulhof auf und ab, immer unter Aufsicht, wie eine Gefangene. Da hatte ich genügend Zeit, mir einen Plan auszudenken. Montags war das Tor offen; Lieferwagen fuhren in den Hof. Man brachte Lebensmittel für die Woche, holte die schmutzige Wäsche, die außerhalb gewaschen wurde. Ich packte in aller Ruhe das Nötigste ein. Vom Klassenfenster sah man in den Hof. Als der erste Lieferwagen kam, hob ich die Hand und sagte, daß ich mein Heft vergessen hatte. Ich rannte in mein Zimmer, holte meine Tasche. Ich lief durch die Tür, gerade als der Hausmeister den Auslieferer in den Keller führte. Im Hof war kein Mensch, das Tor stand offen. Ich lief bis zur nächsten Metro-Station. Eine halbe Stunde später war ich in der Gare de Lyon und löste eine Hin- und Rückfahrkarte nach Avignon. Siehst du, Amadeo, ich plane methodisch. Das hat mich vor manchem Risiko bewahrt.«
»Aber nicht davor, mich zu lieben.«
»Es war niemals ein Risiko.«
»Nein, eine Bestimmung.«
Als ich in Avignon aus dem Zug stieg, war es schon Nacht und die Hitze hochsommerlich. Überall Staub, Gas, Gedränge. Ich hatte keine Ahnung, wo das Zirkuszelt stand, und studierte die Plakate an den Säulen.
Ich hatte fast kein Geld mehr, ein Taxi konnte ich mir nicht leisten. Und wo übernachten, wenn ich dich nicht fand? Mir war es gleich, die ganze Nacht auf den Beinen zu sein. Dann fand ich endlich den Platz, wo der Zirkus gastierte. Es war am Stadtrand, im Maghrebiner-Viertel. Der Gestank einer Müllverbrennungsanlage wehte über die Rhone. Neben dem Zelt war ein Jahrmarkt; Karusselle drehten sich, Musik strömte aus den Buden. Händler verkauften Erdnüsse, Zuckerwatte und Spielzeuge aus Plastik. Ich war einen Teil der Strecke mit dem Bus gefahren; dann eine halbe Stunde zu Fuß. Müde schleppte ich mich durch das Gedränge. Vor dem Zelt war ein Gitter angebracht. Die Vorstellung hatte schon begonnen. Ein Schwarzer in zerschlissener Operettenuniform schimpfte mit ein paar Araberjungen, die Knallfrösche losließen. Ich schob meine Tasche von der Schulter und wartete geduldig. Ich war dort, wo ich sein wollte.
Irgendwann – ich hatte jedes Zeitgefühl verloren – fuhr ich auf: Die Schnulze von Yves Montand untermalte den Galopp eines Pferdes.
Flammenlicht zuckte unter dem rot-weiß gestreiften Zeltdach, jagte im Kreis, wie ein Irrlicht. Plötzlich dröhnte der Boden, der Schwarze trat hastig zurück, Amadeo brauste auf einem Schecken aus dem Sattelgang.
Die Araberjungen stoben zurück, so schnell ihre Beine sie trugen. Im knappen Raum zwischen Zeltbahn und Absperrung ließ Amadeosein Pferd auf der Stelle herumwirbeln. Er trug sein Indianerkostüm, mit Fransen und klirrenden Messingplättchen geschmückt. Ich rührte mich nicht und gab ihm auch kein Zeichen; unbeweglich stand ich da, in weißer Bluse und blauem Faltenrock. Ich wußte, daß er mich nicht übersehen würde. Das Pferd schnaubte schmerzlich überrascht, als Amadeo es mit heftigem Ruck zum Stehen brachte. Wir starrten uns an, nur ein paar Atemzüge lang. Dann riß Amadeo seinen Schecken herum, raste im Galopp in die Manege hinein.
Der Luftzug klatschte an die Zeltwand. Das Flammenlicht kreiste auf den Wogen des Applauses, unsichtbar getragen von trommelnden Hufen.
Meine Knie zitterten; erst jetzt merkte ich, wie müde ich
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