Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuerfrau

Feuerfrau

Titel: Feuerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
war. Mein Gaumen schmeckte nach Staub. Seit Stunden hatte ich nichts gegessen oder getrunken. Erschöpfung und Hunger gaben mir das seltsam distanzierte Gefühl, nicht in meinem Körper zu stecken. In kurzer Entfernung spielte eine Drehorgel, die Knallfrösche zischten und knatterten. Ich setzte mich auf die Tasche, umfaßte meine Beine mit beiden Armen und legte den Kopf auf die Knie. Benommenheit senkte sich auf mich herab, während die Geräusche immer weiter zurückblieben, schwächer wurden und schließlich ganz verschwanden.
    Ich mußte eingeschlummert sein. Plötzlich nahm ich Lärm und Musik mit verstärkter Deutlichkeit wahr. Ein vertrauter Geruch hüllte mich ein, warmer Atem strich über mein Gesicht. Ich öffnete die Augen; Amadeo legte beide Arme um mich. Mit einem schweren Seufzer, wie Kranke ihn manchmal hören lassen, drückte ich das Gesicht an seine Brust. Sein Herz, unter meiner Wange, schlug ebenso stürmisch wie meines. Eine Zeitlang saßen wir stumm und eng umschlungen da, erfüllt von unserer Wärme und wie betäubt von dem überwältigenden Gefühl des Wiederfindens, bis Amadeos sanfte Stimme das Schweigen brach.
    »Hast du Hunger?«
    Ich lächelte ihn an, schüttelte verneinend den Kopf. Er ließ sich nicht täuschen, faßte mich bei der Hand und zog mich hoch.
    »Komm! Du bist ja ganz blaß. Du mußt etwas essen.«
    Er nahm meine Tasche an sich und führte mich zu den Buden, wo man Popcorn, Zuckerwerk und gegrillte Würstchen kaufen konnte. Ich wollte nur eine Semmel und etwas Milch. Wir setzten uns auf eine Bank, abseits vom Gedränge. Ich trank und aß schweigend und langsam. Amadeo sah mit besorgtem Ausdruck zu, beobachtete jeden Bissen, hielt mir den Becher an die Lippen. Von Zeit zu Zeit tauschten wir einen Blick und lächelten uns an. Er hatte seine Schminke abgewaschen, trug enge Jeans, das schwarzweiß gemusterte Hemd der »Guardians« und sah jung und verletzlich aus.
    Seine Augen waren die schwärzesten, die ich je bei einem Menschen gesehen hatte, und schimmerten doch so weich. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich wieder sprechen konnte. Schließlich sagte ich:
    »Ich bin ausgerissen.«
    Er grinste.
    »Das wäre ich auch.«
    »Ich mußte die Gelegenheit abwarten.«
    »Klar. In solchen Momenten darf man keinen Fehler machen.«
    Ich lehnte die Stirn an seine Schulter.
    »Weißt du, ich hatte wirklich den Eindruck, es geht nicht mehr. Ich war nicht mehr imstande zu irgend etwas. Und du?«
    Sein Lächeln erlosch. Sein Gesicht wurde düster.
    »Ich? Ich wäre fast gestorben.«
    Er sagte solche Dinge nicht leichthin. Ich starrte ihn an. Er wich meinem Blick aus, warf den leeren Becher in ein Gebüsch und nahm meine Hand.
    »Herzblume, du bist müde.«
    In Avignon kannte er eine Frau, eine ehemalige Variete-Tänzerin, die eine Zeitlang beim Zirkus gearbeitet hatte. Sie leitete ein Stundenhotel, vermietete auch Zimmer an Artisten und stellte keine Fragen.
    Das Zimmer war schäbig, mit einem großen Bett und einer Matratze, die muffig roch. Die Laken waren vom vielen Waschen grau und zerschlissen.
    Die alte Tapete hatte an manchen Stellen fiebrig verzerrte, düstere Tönungen angenommen. Im Zimmer befanden sich ein zerkratzter Spiegelschrank, ein kleines Waschbecken mit kaltem Wasser und ein Bidet auf einem abgetretenen Linolbelag. Aus einem roten Lampenschirm fiel schummriges Licht. Der Straßenlärm war ohrenbetäubend, das ganze Zimmer roch nach Abgasen. Amadeo schloß das Fenster, zog die Rolladen herunter, da wurde es ruhiger. Wir setzten uns auf die Bettkante, nahmen uns in die Arme, streichelten uns mit ruhelosen, fiebrigen Bewegungen.
    Worte konnten unsere Gefühle nicht ausdrücken. Wir sahen einander an, mit weiten, verträumten Augen. Erst als er sich ausstreckte und mich an seine Brust zog, fiel sein Haar nach hinten und legte die furchtbare Wunde frei. Ich erstarrte vor Schreck.
    »Amadeo! Was ist passiert?«
    Er verzog die Lippen und sagte, die Wunde sei noch von der Nacht, als er glaubte, mich für immer verloren zu haben.
    »Ich konnte es nicht anders ertragen, verstehst du? Ich wollte lieber krepieren als ohne dich leben.«
    Er sprach gelassen und fast ironisch, sagte: »Was für ein Idiot war ich doch!« und setzte leise hinzu: »Pardonne-moi! - Verzeih mir.«
    Zitternd beugte ich mich über ihn, strich behutsam die Haare auseinander, so daß die schlecht verheilte Wunde ganz zum Vorschein kam. Ich betrachtete sie, in wortlosem Entsetzen, berührte sie zuerst mit den

Weitere Kostenlose Bücher