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Feuerfrau

Feuerfrau

Titel: Feuerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Lippen, dann mit der Zungenspitze. Er lag ganz still, die Augen geschlossen, und ich leckte die Wunde, sehr sanft, sehr behutsam, wie ein Kätzchen es tun würde. Mein Mund wanderte weiter, angefangen bei seinem Haar, dann über sein Gesicht. Ich streichelte ihn mit der Zunge, eine Liebkosung, die zugleich Berieselung und Kuß war, die alles bedeckte, was ich liebte, die düsteren und doch so weichen Züge, die glänzend schwarzen Augen, die vollen Lippen. Meine Zunge erforschte seine Lippen, seine Zähne, seinen Mund. Er lag ganz ruhig, vollkommen meiner Liebkosung hingegeben. Und dann zogen wir uns aus, mit tastenden Händen. Als wir völlig nackt waren, legte er sich auf den Rücken, und ich legte mich auf ihn, spreizte mich, umfaßte ihn mit Armen und Beinen. Er schlang beide Arme um meinen Nacken. Ich bedeckte ihn mit meinem Körper, ich spürte ihn ganz. Wir lagen dicht aneinander gepreßt, die Augen geschlossen: eine absolute Erschöpfung, ein absolutes Vertrauen. Wir begehrten uns nicht in diesem Augenblick. Wir lagen einfach da, von Friede und Ruhe erfüllt, und schliefen im gleichen Atemzug ein.
    Und am nächsten Tag fuhr der Zirkus weiter, nach Nimes, nach Arles, und dann weiter, nach Les-Saintes-Maries-de-la-Mer, und schließlich nach Sete. Und es wurde die schönste Zeit meines Lebens. Eine Zeit außerhalb der Zeit, sie verlief wie ein Bruch zwischen Kindheit und Erwachsensein.
    Jede Nacht, jeder Tag war besonders und einzigartig. Es würde nicht viel nützen, meine Erinnerungen zu ordnen; ich könnte zurückgreifen und auswählen, bei diesem oder jenem Ereignis verweilen, aber wozu? Jedes dieser Ereignisse spiegelt ein anderes, ein schillerndes Kaleidoskop. Alle Farben und Gefühle waren, für sich genommen, Ausnahmen; dennoch bildeten sie ein Muster, vielschichtig, stets neu geordnet. Ich entfloh einer kühlen, vernünftigen Welt, bewegte mich in der Welt der Erscheinungen und Wunder. Eine Zeitlang hing ich zwischen diesen zwei Weltbildern und glaubte, daß ich eine Wahl treffen mußte. Ich hätte einen Teil meiner selbst aufgegeben, mich tief unglücklich gemacht. Später merkte ich, daß ich mit diesem Widerspruch gut zurechtkam. Da hörte mein Schmerz auf.
    Ich war Amadeos jugendliche Geliebte, die Schülerin aus gutem Hause, die seinetwegen durchgebrannt war. Doch anzügliche Blicke und zweideutige Bemerkungen glitten von mir ab. Zwei Monate lebte ich mit Menschen zusammen, die ihren Teil dazu beitrugen, daß ich geworden bin, wie ich bin. Sie waren an meinem Leben beteiligt und sind es heute noch: die Artisten, die Viehhirten, die Romanos.
    Es sprach sich bald herum, daß ich Faraona war. Der Ausdruck stammt von früher, aus der Zeit, als man die Romanos noch »Ägypter« nannte.
    Allen südlichen Stämmen – den Sinti, den Kalderach, den Manouchen – ist diese Bezeichnung vertraut. Sie bezieht sich auf Frauen oder Mädchen, die über eine besondere Gabe verfügen: Wahrsagerinnen, Heilerinnen. Oder auch jene, die zum Tanz oder Gesang geboren sind. Ich zähmte das Feuer: Ich war eine Faraona, eine Zauberin, die mit den Mächten der Natur in Verbindung stand. Eine Faraona kümmert sich nicht um die Gebote der Keuschheit, verschenkt ungehindert ihre Diklo – ihre Jungfräulichkeit. Sie verläßt ihren Gail – ihren Geliebten –, wenn sie seiner überdrüssig wird, ohne daß jemand schlecht von ihr denkt. Das Gesetz der Romanos gestattet es ihr. Oft kam es vor, daß Frauen mir die Hand küßten und alte Männer vor mir den Hut zogen. Überrascht und ein wenig beschämt nahm ich eine Huldigung hin, deren Sinn ich erst später verstand. Noch war mir eine große Unbefangenheit erhalten. Ich lebte mit scharfen und unverbrauchten Sinnen, unbekümmert wie eine Nixe auf dem Grund der Gewässer. Ich habe dieses Glück gehabt, mich Dingen zu nähern, von denen viele Menschen nicht einmal eine Vorstellung haben. Die Romanos wurden meine Beschützer, meine Väter und Mütter, meine Brüder und Schwestern.
    Sie lehrten mich die Geheimzeichen, die mir in Augenblicken der Not –
    und überall auf der Welt – ihren Beistand sichern würden. Auch wenn ich fern von ihnen mein Leben verbringe, weiß ich um die Tragödie der großen Wanderer der Landstraße, Sterne am Ende ihrer Bahn. Ihr unaufhaltsames Dahinsiechen schmerzt mir in der Seele. Die großen Patriarchen sterben auf vergifteten Müllhalden; die Weisheit ganzer Jahrhunderte stirbt mit ihnen.
    Frauen und Männer, im Wohnwagen geboren, vegetieren ohne

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