Feuerfrau
Bronzebeschlägen. Empire, Regence, Louis XV. teilweise authentisch. Sofas unter weißen Schonbezügen, schwere Portieren, zugezogene Vorhänge in dunkelblau oder altrosa. Im Wohnzimmer ein Flügel, an den Wänden die Bilder der Ahnen; strenge, bleiche Gesichter, die du haßt. In jedem Zimmer bestimmt der Vater einen Stuhl oder einen Sessel zu seinem; dort sitzt er allabendlich und liest »le Figaro«. Seit einigen Jahren gibt es Zentralheizung, und auch Radio, Plattenspieler und Fernsehen.
Die Bewohner, jetzt: die Mutter, Rosario de Salvan, geborene Jimenez y Cristaldo. Dunkle Augen, matter Teint, scharf und mager um Kinn und Wangen, das blauschwarze, glatte Haar sorgfältig gekämmt und verknotet.
Sie spricht leise und schnell, bewegt kaum die Hände dabei. Sie ist Spanierin, stammt aus Lerida. Ihre eigene Erziehung war äußerst streng gewesen, wie es in vornehmen spanischen Häusern üblich war. Das hat aus ihr ein kaltes, isoliertes Wesen gemacht; ihr Stolz lag darin, keine Gefühle zu zeigen. Ihre Härte hat gewisse Formen gefunden, wie sie ausbrechen können; sie erzeugen mehr Destruktivität, als du im Banne deiner abgeschlossenen Welt je hättest hinaufbeschwören können. Ihr Vater besaß Ländereien in Bolivien und hatte eine Kreolin geheiratet. Durch diese Frau soll indianisches Blut in die Familie gekommen sein, was stillschweigend als Makel empfunden wurde, obwohl man an der Kreolin selbst nichts auszusetzen hatte: Sie war überaus reich und gebildet, und dazu nicht nur fromm, sondern bigott. Ein Herzleiden, das ihr sehr zu schaffen machte, war die Ursache ihres frühen Todes.
Der Vater: Armand Louis de Salvan. Groß, hager, das Haar bräunlich, mit kalten Augen und einem nervösen Zucken um den Mund. Die älteren Söhne, Michel und Philippe, sind ihm wie aus dem Gesicht geschnitten.
Michel studiert Tropenmedizin in Paris, Philippe besucht das Priesterseminar. Beide sind hellhäutig, blond, überschlank. Du schlägst völlig aus der Reihe. Deine Ähnlichkeit mit der bolivianischen Großmutter ist unverkennbar. Die ablehnende Kühle deiner Mutter mag auf unbehaglichen Erinnerungen gründen, die dein fremdartiges Aussehen in ihr wachrufen: Die »Tochter der Mestizin« nannte man sie in der Verwandtschaft, hinter vorgehaltener Hand, während ihrer freudlosen Kindheit in Lerida. Sie gilt – sehr zu Unrecht – als Kunstkennerin, während Armand Louis an solchen Dingen keinen Gefallen findet und sich mit Werken der Jurisprudenz umgibt.
Außer der Köchin, Catherine, die auch bei Tisch serviert gibt es keine Dienstboten. Jeden Tag kommt eine Frau aus der Nachbarschaft, die das Haus sauberhält.
Eine besondere Rolle in deinem Leben spielt dein Vetter Leopold Xavier, der mit deiner Erziehung betraut wurde, als du die Schule verlassen mußtest.
Man hat dich schon früh als sonderbar empfunden. Du bist überaus intelligent und von rascher Auffassungsgabe, aber es scheint dir an Verstand zu fehlen. Dazu hast du Probleme mit Leuten, die dir zu nahe kommen: Du willst nicht, daß man dich berührt. In eine Ecke gekauert, stets mit dem Rücken zur Wand, beobachtest du deine Umgebung aus unergründlichen Indianeraugen. Bist du unruhig, läufst du im ganzen Haus herum, schlägst mit dem Kopf an die Wand, machst alles kaputt, was du in die Hände bekommst. Man findet dich unheimlich und schickt dich aus dem Zimmer, wenn Besuch da ist.
Der Hausarzt führt dein Verhalten auf eine Reizbarkeit des Nervensystems zurück und verschreibt dir Beruhigungstabletten, die du erbrichst. Ein Neurologe stellt bei dir eine leichte Anomalie in der Gehirnfunktion fest; sie wird bei der Pubertät verschwinden, meint er, und habe keine Nachwirkungen zur Folge. Dein Vater ist gekränkt und wütend; daß einer seiner vortrefflichen Söhne »gestört« sein soll, empfindet er als persönliche Beleidigung. Er schreibt dem Professor einen empörten Brief und konsultiert ihn fortan nicht mehr.
Man hat dich aus der Grundschule genommen und dich in eine Privatschule geschickt, die den Ruf hat, daß die Lehrer sich besonders intensiv um die einzelnen Schüler kümmern. In der Schule interessierst du dich für Dinge, die dort gelernt werden, doch auf ganz besondere Art. Du hast Freude an Buchstaben und lernst sie schnell; du lernst auch die Worte, du fügst sie nur falsch zusammen. Die Lehrer merken es nicht sofort, weil du eine Methode entwickelt hast, nur die wichtigen Worte zu entziffern, so daß der Eindruck entsteht, daß du den ganzen
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