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Feuerfrau

Feuerfrau

Titel: Feuerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Satz verstehst. Abstraktes Denken liegt dir, aber sobald du dich zu stark konzentrierst, kannst du dir nichts richtig merken. Rechnen ist dir nicht beizubringen, weil dich die Form der Zahlen mehr packt als ihre Bedeutung. Du siehst die Zahlen ornamental: Schnörkel und Striche, die dich faszinieren. Bruchrechnen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Zu der Vorstellung von Halben und Vierteln hast du keinen Zugang. Dazu kommt, daß du nicht gerne auf Stühlen sitzt, am liebsten den Boden unter dir spürst. Man findet dich sonderbar, ganz gleich, ob das Sonderbarsein nun einen Sinn hat oder nicht; immerhin gibt es dir eine gewisse Aura. Du bist von den langen Haaren der Mädchen begeistert und streichelst sie im Unterricht. Die Mädchen kichern; du wirst bestraft. In der Pause drehst du dich endlos um dich selbst und starrst dabei in die Sonne. Dann läßt du dich auf den Boden fallen, spürst, wie die Welt sich dreht, und bist glücklich. Die anderen Kinder machen es dir nach: Ein Junge fällt mit dem Kopf auf die Steine und verletzt sich. Die Eltern des Jungen beschweren sich. Der Schulleiter läßt deinen Vater kommen und sagt, du gehörst in eine psychiatrische Klinik. Dein Vater entgegnet, dein Verhalten beruhe einzig auf Trotz. Er nimmt dich aus der Schule, vertraut dich Leopold Xavier an, dem Sohn seiner Schwester, der mit Philippe das Priesterseminar besuchte.
    Leopold Xavier ist sechsundzwanzig Jahre alt; kompakt, kräftig, mit muskulösen Armen und Beinen. Er spielt gerne Fußball und hat ein kleines Bildhaueratelier, wo er Flachreliefs aus Marmor schnitzt. Der Vater hat ihm strikte Anweisungen gegeben: Dein Wille soll gebrochen werden. Mit Gewalt, wenn es sein muß.
    Leopold Xavier hat als Erzieher schon einige Erfahrungen. Sein Blick ist scharf und ruhig; er lächelt viel, er hört nicht auf zu lächeln. Er hat etwas von einem Eisberg an sich, der auf dem Wasser schwimmt und dessen Tiefen verborgen bleiben. Im Umgang mit dir entwickelt er eine besondere Technik: Er hebt zuerst die Hand, ohne zu schlagen. Du siehst sie schattenhaft über deinen Kopf schweben, du spürst die Wärme, die von ihr ausgeht. Es ist dir unangenehm, du fröstelst leicht, du versuchst diese Hand wegzudenken. Auf einmal, wenn du es am wenigsten erwartest, schlägt sie zu. Du sagst nichts, du zuckst nur zusammen. Leopold Xavier lehnt sich zurück, lächelt dich an.
    Er liebt es, Schmerz zuzufügen, und wäre sehr erstaunt gewesen, wenn man es ihm gesagt hätte. Im Lauf vieler Stunden lernst du, mit diesen Schmerzen umzugehen – sie hypnotisieren dich geradezu. Leopold Xavier unterrichtet mit warmer, klangvoller Stimme. Er kommt dem Wunsch deiner Mutter entgegen, bringt oft das Gespräch auf Religion. Du hörst zu, was er dir aus der Bibel vorliest, du wippst dabei mit dem Fuß. Die von ihm ausgewählten Abschnitte kommen dir merkwürdig und unverständlich vor; am nächsten Tag hast du alles vergessen. In der Kirche aber horchst du mit aufmerksamem Gesicht, wie die Orgel klingt. Du liebst das gewaltige Brausen, du läßt dich von den Klängen tragen, wie auf einem herabstürzenden, tosenden Wasserfall. Du hältst den Mund dabei offen, bewegst die Hände wie Flügel, und manchmal beginnst du, dich im Kreise zu drehen. Die Leute blicken mißbilligend; leise und drohend mahnt dich dein Vater zur Ruhe.
    Leopold Xavier schlägt zu, wenn du die Worte nicht in richtiger Reihenfolge schreibst, wenn du zu lange über einer Aufgabe brütest. Du siehst ihm in die Augen, er glaubt, daß du zuhörst; in Wirklichkeit betrachtest du Punkte und verlierst dich in Farben. Bald schlägt er nicht mehr mit der Hand; er benutzt dazu die Nilpferdpeitsche deines Vaters. Er preßt dich an die Wand und schlägt, wirft dich zu Boden, stemmt dir sein Knie ins Kreuz und schlägt. Er läßt die Peitsche immer wieder auf dieselbe Stelle knallen, bis sich Striemen bilden. Die Schmerzen sind da, aber sie können dir nicht viel anhaben. Du achtest mehr auf andere Dinge: auf die Art, zum Beispiel, wie er dich berührt. Diese Berührungen bewirken das, was den Schlägen nicht gelingt; sie erzeugen eine Reaktion. Dein Haß explodiert: Du wehrst dich, du schlägst zurück. Du zerkratzt Leopolds Gesicht, du reißt ihm ganze Haarbüschel aus. Zur Strafe wirst du in dein Zimmer eingeschlossen, mit Brot und Wasser, bis deine Mutter beschließt, daß du wieder hinausdarfst.
    Bei Vollmond läufst du geräuschlos durch die Flure, steigst die Treppen hinauf, auf die Balkone und

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