Feuerfrau
wölben, mit fliegender Mähne im Kreis jagen oder die Stuten bespringen. Fohlen drängen sich an den Bäuchen der Mütter. Die Pferde traben, ihren langen Schweif schwingend, über die Koppel, bewegen sich stolz und locker auf dich zu.
Du streckst die Hand in die Höhe, um sie abzuklopfen. Ein junger Hengst, schimmernd wie polierte Bronze, bleibt dicht vor dir stehen. Du legst dem Tier die Hand auf die Schulter, leicht und ruhig. Du siehst, wie das glänzende Fell ein wenig erschauert. Der Hengst beschnuppert dich, du fühlst seinen warmen Atem in deinem Haar. Am nächsten Tag bringst du ihm ein Stück Salz mit. Der Hengst leckt das Salz von deiner flachen Hand; seine Lippen fühlen sich weich an, an seinen Nüstern perlen winzige Tropfen. Seine goldene Mähne, von der Brise gekräuselt, weht über die dunklen, langbewimperten Augen. Der Anblick seiner Kraft, seines Lebendigseins erweckt in dir eine ungestüme Freude, seltsam gemischt mit dem Wunsch zu weinen.
Eines Abends kletterst du auf den Zaun, lockst das Tier zu dir und schwingst dich auf seinen Rücken. Das Pferd erschauert, springt leicht zur Seite, ohne dich abzwerfen. Du umklammerst mit den Beinen den warmen Tierleib, krallst dich an der Mähne fest. Vorsichtig preßt du die Fersen in die bebenden Flanken. Einige Sekunden lang verharrt das Tier regungslos, als ob es nicht versteht, was mit ihm passiert. Plötzlich durchläuft ein heftiges Zucken seinen Körper: Es schnellt vorwärts, wie eine Stahlfeder.
Der gewaltige Satz hat dich nicht aus dem Gleichgewicht geworfen, du fängst jeden Sprung schon im Ansatz durch eine geschickte Gegenbewegung ab. Du weißt selbst nicht, wie du es fertigbringst; es ist einfach eine Sache, die dir Spaß macht. Der Hengst jagt den Hügel hinauf, über den Kamm hinweg. Du läßt dich tragen, wohin das Tier will. Du wirfst den Kopf nach hinten, der Himmel schillert blaugrün. Du bist ganz von Licht umgeben, Frieden und Schönheit. Du fühlst dich wie in der Kirche, wenn die Orgel braust: eine windgeborene Leichtigkeit, als ob du Flügel hättest.
Beim zweiten Mal, als du den Braunen reitest, erwischt dich der Gutsverwalter. Er läuft, aufgeregt winkend, hinter dir her. Du bringst verwirrt das Tier zum Stehen. Der Gutsverwalter ist außer Atem und blaß vor Schreck. Der Hengst sei noch nicht zugeritten und äußerst wild.
Außerdem seien nährende Stuten gefährlich. Er verbietet dir, die Koppel zu betreten; die Verantwortung will er nicht übernehmen. Er sagt deinem Vater Bescheid, der dich krumm und lahm prügelt. Im Herbst wirst du vierzehn; du bist kräftig, mit langen Muskeln und fast schon so groß wie er.
An deinen starkknochigen Händen und Füßen merkt man, daß du noch wachsen wirst. Kein Ton kommt über deine Lippen, als er dich schlägt, aber du ballst die Fäuste. Haß steckt in deiner Brust wie ein schwarzer Klumpen.
Du zähmst einen wildernden Hund, der dir auf Schritt und Tritt folgt.
Du trägst einen dressierten Falken auf der Schulter. Du bringst streunende Katzen und einen jungen Marder ins Haus. Du sprichst zu den Tieren, als wären sie Menschen; mit den Menschen sprichst du nur das Nötigste. Für die meisten bist du ein Rätsel; nur die wenigsten spüren, mit wem sie es zu tun haben. In den Ferien kommen Michel und Philippe. Den Brüdern ist deine Eigenbrötelei vertraut. Doch neuerdings fällt ihnen eine Veränderung auf: Intellektuelle Begriffe liegen dir fern, doch du bringst verblüffende Gedankenverbindungen zustande. Es sieht aus, als ob du Bescheid wüßtest.
Es zeigt sich tiefgründig in der Art und Weise, wie du zum Kern einer Sache vordringst. Die Brüder wundern sich: Wann hast du das gelesen? In welchem Buch? Die Mutter seufzt: Der Junge nimmt es einfach so, wie er es liest, und plappert es nach. Der Vater sagt, stur wie er ist, wird er nie etwas Vernünftiges lernen. Ein Studium kommt sowieso nicht in Frage, man müsse ihm wohl ein Handwerk beibringen.
Ihre Kommentare entstehen aus Intoleranz und gekränktem Stolz, nicht aus Besorgnis. Doch die Brüder sind hellhörig. Wären sie öfter zu Hause, hätten sie dein Schicksal beeinflussen können; ihr guter Wille ist da. Doch Michel verbringt die Ferien in Antibes, und Philippe geht für zwei Jahre nach Rom. Du bist wieder allein, während die Schatten sich regen.
In letzter Zeit hat dich Leopold Xavier nicht mehr so systematisch mißhandelt wie früher. Er spricht freundlich zu dir, sieht dich unablässig an und lächelt. Vielleicht
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