Feuerfrau
gerne ein neues Hemd, manchmal auch eine teure Uhr. Du sitzt an Bartresen, streichelst die nackte Schulter einer Ausländerin, wie früher in der Schule die Haare eines Mädchens. Es kommt vor, daß du in Betten mit himbeerfarbenen Damastdecken schläfst, vor offenen Balkontüren frühstückst, mit Blick auf das Meer. Kerlen gehst du aus dem Weg, obgleich du dabei schnell zu Geld kommen könntest, was rückblickend als Leopold Xaviers wesentlicher Beitrag gelten mag. Das –
und die Liebe zur Poesie, zu komplizierten Analogien und Symbolen, die augenblicklich als nutzloser Krempel in deinem Kopf herumliegen.
Der Sommer vergeht; nach dem Ende der Saison verstreut sich die Gruppe. Wieder zurück in Frankreich, volljährig geworden, unterschreibst du für drei Jahre bei der Armee, machst es aber nach sechs Monaten wieder rückgängig: Du rebellierst gegen jede Disziplin und verbringst die meiste Zeit unter Arrest. Vertragsbrüchig und ohne einen Sou in der Tasche, lungerst du in Toulouse herum, auf der Suche nach irgendeinem Gelegenheitsjob, oder – was dir besser passen würde – nach einer Frau.
Es ist Frühling, der Mistral weht in blauen Wirbeln, die Platanen haben frische Blätter. Auf einem Platz steht ein kleiner Wanderzirkus. Zwischen den Wohnwagen flattert nasse Wäsche. Hinter Seilabsperrungen, die Neugierige fernhalten, stehen die Zirkustiere. Zwei struppige Löwen dösen in ihrem Käfig, ein Leopard reibt mit der Schulter an den Gitterstäben, trübsinnige Affen sitzen auf einer Schaukel. Tiere im Käfig bemitleidest du; auch später wirst du niemals eine Show mit ihnen inszenieren. Auf dem Platz stehen einige Pferde vor einem Stapel Heu, auch ein Wolfshund liegt da, die Schnauze auf den Pfoten. Du hockst dich nieder, sprichst leise zu ihm. per Wolfshund spitzt die Ohren, betrachtet dich aus starren Augen. Du pfeifst, der Hund zuckt zusammen, erhebt sich, du streckst die Hand aus; er beschnüffelt deine Handfläche, leckt deine Fingerspitzen. Er preßt sich an den Gitterdraht, du streichelst seine bebenden Flanken. Ein Schecken hebt den Kopf, sieht dich aus großen schwarzen Augen von der Seite an, bevor er sich langsam nähert. Du richtest dich auf, legst eine Hand auf seine Flanke, streichelst seine Schulter und schließlich den Bogen seines Nackens. Deine Kindheit kehrt zurück, wie der Schatten eines Traumes, eine kostbare, reine Stille. Deine Kehle wird eng, als wäre sie von Tränen voll; diese Tiere bringen dir deine Seele wieder, doch was sollst du mit ihr anfangen? Ein zweites Pferd kommt heran, schnuppert an dir. Pa scheppert Blechmusik aus dem Lautsprecher, ein Trommelwirbel dröhnt, eine Stimme schallt über den Platz und kündigt die Vorstellung an. Die Artisten machen sich für den Auftritt fertig. Der Bann ist gebrochen: Die Tiere weichen zurück. Schaulustige drängen sich um das Gitter. Der Krach, die Musik der Kapelle, auf Tonband aufgenommen, das Lachen und die Schreie der Kinder erfüllen den Platz. Unter den Leuten, die da stehen, fällt dir ein alter Mann auf. Er hat ein Gesicht wie aus dunklem Holz, trägt eine Art Schlapphut auf dem schneeweißen, borstigen Haar. Er steht da, leicht gebeugt, und nimmt nicht die geringste Notiz von dir. Und doch hast du irgendwie das Gefühl, daß er dich beobachtet. Du beobachtest ihn auch, und zwar aus einem ganz besonderen Grund: Seine Brieftasche sitzt deutlich sichtbar in seiner Gesäßtasche. Der Mann trägt einen altmodischen Anzug, aus gutem Stoff, und zwei Ringe aus Sterlingsilber an den braunen Fingern. Du schließt daraus, daß er wohlhabend ist. Das kommt dir sehr gelegen, denn bei Armen machst du ungern lange Finger. Du hast seit gestern abend nichts gegessen; geschlafen hast du in einem Auto, in einer unbewachten Garage, und das Schloß vorher mit einem Draht aufgebrochen. Solche Tricks beherrschst du virtuos, und andere auch.
Folglich schiebst du dich im Gedränge an den Mann heran. Deine Hand bewegt sich, wandert leicht wie eine Feder über die Gesäßtasche, berührt die Brieftasche… und wird plötzlich von einer eisenharten Hand wie in einem Schraubstock gepackt. Lachfältchen kräuseln sich um jugendlich funkelnde Augen, und eine rauhe Stimme sagt: »Du machst das nicht schlecht, Junge, aber ich würde es besser machen.«
»Wassilio grinst jedesmal, wenn er unsere Begegnung schildert«, sagte Amadeo. »Und er hat sie vermutlich schon fünfzigmal erzählt. Er wollte wissen, wie ich hieß und warum ich meine Zeit mit
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