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Feuerkind

Feuerkind

Titel: Feuerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Andy McGee abrupt, daß sie nicht länger in Tashmore bleiben konnten. Es war mehr als zwei Wochen her, daß er seine Briefe abgeschickt hatte, und wenn daraufhin irgend etwas geschehen sollte, wäre es schon geschehen. Es war gerade die Tatsache, daß es um Großvaters Grundstück herum so ruhig blieb, die ihm Sorgen machte. Es konnte ja sein, daß sie ihn einfach als Verrückten aufgegeben hatten, der ihnen nichts nützen konnte, aber er glaubte es nicht.
    Was er glaubte, was seine Intuition ihm zuflüsterte, war, daß die Briefe abgefangen worden waren. Und das würde bedeuten, daß sie wußten, wo er und Charlie sich aufhielten.
    »Wir müssen hier weg«, sagte er zu Charlie. »Laß uns unsere Sachen packen.«
    Sie sah ihn nur vorsichtig an und auch ein wenig ängstlich, aber sie sagte nichts. Sie fragte nicht, wohin sie denn gehen wollten oder was sie nun tun würden. Und auch das machte ihn nervös. In einem der Schränke hatte er zwei alte Handkoffer gefunden, die mit Aufklebern bepflastert waren – Grand Rapids, Niagara Falls, Miami Beach –, und sie sortierten zusammen aus, was sie mitnehmen und was sie hierlassen wollten.
    Blendend helles Sonnenlicht fiel durch die Fenster an der Ostseite der Hütte. In der Traufe tropfte und gurgelte das Wasser. Er hatte nachts wenig geschlafen; das Eis war gebrochen, und er hatte wachgelegen und auf die Geräusche gelauscht – ein hohes, leichtes und doch unheimliches Geräusch vom Splittern des alten gelben Eises, das sich langsam auf die Landenge am Ende des Sees zubewegte, wo der Great Hancock River ostwärts durch New Hampshire und Maine floß und auf seinem Weg immer mehr stank und verschmutze, bevor er ekelhaft und tot in den Atlantik kotzte. Das Geräusch war wie ein ständiges Klirren von Kristall, oder wie das eines Bogens, der endlos über eine hohe Violinsaite streicht, ein andauerndes flötendes Singen, das über den Nervenenden schwebte und sie mitfühlend vibrieren ließ. Er war noch nie hiergewesen, wenn das Eis brach, und er war auch nicht sicher, ob er dazu je wieder Lust haben würde. Es war etwas Schreckliches und Unirdisches an diesem Geräusch, das zwischen den schweigenden, immergrünen Seiten dieses flachen, ausgewaschenen Tals zwischen den Hügeln vibrierte.
    Er spürte, daß sie wieder so nah waren wie das schemenhafte Ungeheuer in einem immer wiederkehrenden Alptraum. Am Tag nach Charlies Geburtstag hatte er noch einmal einen Ausflug über den See gemacht, die Langlaufskier unter die Füße geschnallt, und war dabei auf eine Spur von Schneeschuhen gestoßen, die zu einer hohen Rottanne rührte. Er fand Einkerbungen in der Schneekruste, als wären die Schneeschuhe abgeschnallt und in den Schnee gesteckt worden. Es war auch deutlich im Schnee zu erkennen, wo der Unbekannte sich die Schneeschuhe wieder untergeschnallt hatte (Schlammboote hatte Großvater sie immer genannt, der diese Geräte aus irgendeinem Grund verachtete). Unter dem Baum hatte Andy sechs Zigarettenkippen der Marke Vantage und eine zerknüllte gelbe Packung eines Kodak-Tri-X-Films gefunden. Besorgter als je zuvor hatte er die Skier abgeschnallt und war auf den Baum geklettert. Von halber Höhe aus hatte man einen guten Ausblick auf Großvaters eine Meile entfernte Hütte. Sie war klein und wirkte unbewohnt. Aber mit einem Teleobjektiv …
    Er hatte seine Entdeckung Charlie gegenüber nicht erwähnt.
    Die Koffer waren gepackt. Charlies beharrliches Schweigen zwang ihn zu nervösem Sprechen, als ob sie ihn durch ihr Schweigen anklagte. »Wir werden per Anhalter nach Berlin fahren«, sagte er, »und mit einem Greyhound-Bus nach New York City. Dann fahren wir ins Büro der New York Times – «
    »Aber Daddy, denen hast du doch einen Brief geschrieben.«
    »Honey, den haben sie vielleicht nicht erhalten.«
    Einen Augenblick sah sie ihn schweigend an. Dann sagte sie: »Glaubst du, sie haben ihn genommen?«
    »Natürlich ni …«Er schüttelte den Kopf und sprach weiter.
    »Charlie, ich weiß es einfach nicht.«
    Charlie antwortete nicht. Sie kniete sich hin, schloß einen der Koffer und mühte sich erfolglos mit den Verschlüssen ab. »Laß mich dir helfen, Honey.«
    »Das kann ich selbst!« schrie sie ihn an und fing an zu weinen.
    »Nicht weinen, Charlie«, sagte er. »Bitte, bald ist alles vorbei.«
    »Nein«, sagte sie und weinte lauter. »Es wird nie vorbei sein.«
2
    Ein gutes Dutzend Agenten waren um Großvaters Hütte ver teilt. Sie hatten in der Nacht zuvor ihre Positionen

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