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Feuerkind

Feuerkind

Titel: Feuerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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etwas mit Clint Eastwood, wenn es im Programm war – oder vielleicht den PDH-Club. Daß er seine Fähigkeit verloren hatte und überflüssig geworden war, störte ihn kaum noch.
    Als das Unwetter kam, saß er vor dem Fernseher und sah sich den PDH-Club an. Eine Frau mit einer Frisur wie ein Bienenkorb erzählte dem Gastgeber, daß die Macht Gottes sie von der Brightschen Krankheit geheilt hätte. Andy war von ihr fasziniert. Ihr Haar glänzte unter der Studiobeleuchtung wie ein poliertes Tischbein. Sie sah aus wie eine Zeitreisende aus dem Jahr 1963. Das war, zusammen mit der schamlosen, im Namen Gottes veranstalteten Bettelei um Geld, eines der Dinge, die ihn am PHD-Club faszinierten. Andy hörte sich diese von jungen Männern mit harten Gesichtern und in teuren Anzügen vorgetragenen Betteleien an und dachte verwirrt daran, wie Christus die Geldwechsler aus dem Tempel vertrieben hatte. Und alle Leute in PDH sahen aus wie Zeitreisende aus dem Jahre 1963.
    Die Frau beendete ihre Geschichte darüber, wie Gott sie davor bewahrt hatte, sich zu Tode zu schütteln. Vorher hatte ein Schauspieler, der in den fünfziger Jahren berühmt gewesen war, erzählt, wie Gott ihn vor der Flasche gerettet hatte. Nun fing die Frau mit der Bienenkorbfrisur an zu weinen, und der einst berühmte Schauspieler umarmte sie. Die Kamera zeigte die Szene in Großaufnahme. Im Hintergrund fingen die PDH-Sänger an zu summen. Andy rutschte auf seinem Stuhl hin und her. Es wurde langsam Zeit für seine Pille.
    Er empfand dumpf, daß die medikamentöse Behandlung nur zum Teil für die merkwürdigen Veränderungen verantwortlich war, die sich während der letzten fünf Monate bei ihm eingestellt hatten, Veränderungen, für die seine Gewichtszunahme nur ein äußeres Zeichen war. Als die Firma ihm Charlie genommen hatte, war der letzte solide Halt aus seinem Leben gerissen worden. Nun, da Charlie weg war – oh, sie war zweifellos irgendwo in der Nähe, aber sie hätte genausogut auf dem Mond sein können –, schien es keinen Grund mehr zu geben, sich im Griff zu behalten.
    Darüber hinaus hatte die ständige Flucht eine Art Neurose verursacht. Er hatte den Drahtseilakt so lange durchgehalten, daß sein Absturz völlige Lethargie zur Folge hatte. Ja, er glaubte sogar, einen – wenn auch wenig spektakulären -Nervenzusammenbruch erlitten zu haben. Und falls er mit Charlie zusammentraf, war er nicht einmal sicher, daß sie ihn wiedererkennen würde, und das stimmte ihn traurig.
    Er hatte sich nie die Mühe gemacht, Pynchot zu täuschen oder bei den Tests zu betrügen. Er glaubte eigentlich nicht, daß es sich ungünstig auf Charlie ausgewirkt hätte, aber was das betraf, wollte er nicht das geringste Risiko eingehen. Und es war leichter, einfach zu tun, was sie verlangten. Er war passiv geworden. Seine letzte Wut hatte er auf Großvaters Veranda hinausgeschrien, als er seine Tochter im Arm hielt, der ein Pfeil im Hals steckte. In ihm war keine Wut mehr geblieben. Er hatte sein Pulver verschossen.
    Das war Andy McGees seelische Verfassung, als er an jenem 19. August vor dem Fernsehgerät saß, während sich draußen über den Hügeln der Sturm zusammenbraute. Der Gastgeber in PDH bettelte um Spenden und sagte dann ein Gospel-Trio an. Das Trio fing an zu singen, und plötzlich gingen die Lichter aus.
    Auch das Gerät ging aus, und das Bild schrumpfte zu einem hellen Fleck, um dann zu verlöschen. Andy blieb reglos auf seinem Stuhl sitzen und wußte nicht, was passiert war. Er konnte gerade noch die beängstigende, vollkommene Dunkelheit registrieren, als die Lichter wieder angingen. Das Gospel-Trio erschien wieder auf der Mattscheibe und sang vom Himmel und Jesus. Andy seufzte erleichtert, und dann gingen die Lichter wieder aus.
    Er saß da und umklammerte die Stuhllehnen, als fürchtete er davonzufliegen, wenn er losließe. Verzweifelt starrte er auf den hellen Fleck auf dem Bildschirm, selbst als er wußte, daß er verschwunden war und er nur noch das Nachflimmern sah … vielleicht war es Wunschdenken.
    Die Lichter werden in ein paar Sekunden wieder brennen, sagte er sich. Es muß irgendwo Reserve-Aggregate geben. In einem solchen Laden verläßt man sich nicht allein auf das öffentliche Stromnetz.
    Dennoch, er hatte Angst. Er mußte plötzlich an die Abenteuergeschichten denken, die er in seiner Kindheit gelesen hatte. In den meisten gab es immer irgendeinen Zwischenfall in einer Höhle, bei dem Lampen oder Kerzen ausgeblasen wurden, und immer

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