Feuerkind
Ahnung, wie lange er dort auf Händen und Knien in der schwarzen Dunkelheit der Küche geschrien hatte.
Endlich hörte er auf und versuchte, sich neu zu orientieren. Seine Hände und Arme zitterten hilflos. Sein Kopf schmerzte vom Aufprall auf den Fußboden, aber die Wunde schien nicht mehr zu bluten. Seine Kehle fühlte sich vom Schreien heiß und wund an, und ihm fiel das Ginger Ale wieder ein. Er kroch weiter und fand den Kühlschrank ohne Schwierigkeit. Er öffnete ihn (wobei er lächerlicherweise erwartete, daß das Licht mit seinem vertrauten frostigen Glanz aufleuchten würde) und fummelte in der Kälte herum, bis er eine Dose fand, die oben einen Ringverschluß hatte. Andy schloß die Kühlschranktür und lehnte sich dagegen. Er riß die Dose auf und trank ihren halben Inhalt in einem Zug. Seine Kehle war ihm dankbar.
Dann kam ihm ein Gedanke, der ihm die Kehle zuschnürte. Das Gebäude brennt, sagte ihm sein Verstand mit trügerischer Ruhe. Deshalb ist niemand gekommen, um dich herauszuholen. Sie räumen. Du bist… du bist völlig entbehrlich.
Dieser Gedanke brachte ein extremes Gefühl des Eingeschlossenseins mit sich, dessen Entsetzen jede Panik überstieg. Er sank einfach gegen den Kühlschrank, und seine Lippen gaben die Zähne frei, so daß sein Gesicht nur noch eine Fratze war. Aus seinen Beinen wich jede Kraft. Einen Augenblick glaubte er, Rauch zu riechen, und Hitze schien über ihn hereinzustürzen. Die Dose entglitt seiner Hand und versprudelte ihren restlichen Inhalt auf die Fliesen und über seine Hose.
Stöhnend blieb Andy in der Nässe sitzen.
6
John Rainbird meinte später, daß die Dinge nicht besser hätten laufen können, wenn man sie geplant hätte … und wenn diese komischen Psychologen auch nur einen Pfifferling wert gewesen wären, hätten sie die Dinge geplant. Aber nach Lage der Dinge war es nur der glückliche Zufall, daß der Stromausfall in eben diesem Moment eintrat, der es ihm gestattete,
inen Meißel endlich unter einer Ecke des psychologischen Stahls anzusetzen, mit dem Charlie McGee gepanzert war. Nicht zuletzt half ihm auch seine eigene Intuition.
Um drei Uhr dreißig, als draußen gerade der Sturm losbrach, betrat er Charlies Quartier. Er schob einen Karren vor sich her, der sich nicht von denen unterschied, die in den Hotels und Motels die Hausmädchen von Zimmer zu Zimmer schieben. Auf dem Karren hatte er saubere Bettwäsche, Möbelpolitur, ein Fleckenmittel für den Teppich, einen Eimer und einen Wischlappen. An einem Ende war ein Staubsauger festgeklemmt.
Charlie saß vor der Couch auf dem Fußboden und trug nur einen hellblauen Kittel. Ihre langen Beine hatte sie im Lotussitz verschränkt. So saß sie oft. Ein unbefangener Betrachter hätte meinen können, daß sie unter dem Einfluß von Drogen stand, aber Rainbird wußte es besser. Sie wurde noch leicht medikamentös behandelt, aber die Dosierung war wenig mehr als ein Placebo. Enttäuscht waren sich alle Psychologen darüber einig, daß es ihr ernst war, wenn sie versprochen hatte, nie wieder Feuer anzuzünden. Die Drogen waren ursprünglich dazu bestimmt gewesen, sie daran zu hindern, sich den Weg freizubrennen, aber jetzt schien es sicher, daß sie das nicht tun würde … und auch sonst nichts.
»Hallo, Kleine«, sagte Rainbird. Er löste den Staubsauger vom Karren.
Sie schaute zu ihm herüber, zeigte aber keine weitere Reaktion. Er schloß den Staubsauger an und, als er ihn in Betrieb setzte, stand sie leichtfüßig auf, verschwand im Bad und schloß die Tür hinter sich.
Rainbird saugte den Teppich. Er hatte keinen besonderen Plan. Es ging darum, kleine Zeichen und Signale zu erkennen, aufzunehmen und zu versuchen, einen Kontakt herzustellen. Seine Bewunderung für das Mädchen war ungetrübt. IhrVater war im Begriff, sich in einen fetten Pudding zu verwandeln; die Psychologen hatten dafür ihre eigenen Ausdrücke -»Abhängigkeitsschock«, »Identitätsverlust«, »leichtes Mißverhältnis zur Realität« –, aber das alles bedeutete nichts weiter, als daß er aufgegeben hatte und nun aus der Gleichung ausgeklammert werden konnte. Ganz anders das Mädchen. Sie hatte sich einfach versteckt. Und Rainbird hatte sich noch nie so sehr als Indianer gefühlt wie in Charlie McGees Nähe.
Er saugte weiter und wartete darauf, daß sie wieder herauskam – vielleicht. Er hatte das Gefühl, daß sie in letzter Zeit etwas häufiger aus dem Bad kam. Am Anfang hatte sie sich immer versteckt, bis er wieder
Weitere Kostenlose Bücher