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Feuerkind

Feuerkind

Titel: Feuerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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gegangen war. Jetzt kam sie manchmal heraus und schaute ihm zu. Vielleicht tat sie es auch heute. Vielleicht auch nicht. Er hatte Zeit. Und er würde auf Zeichen warten.
7
    Charlie saß im Bad. Sie hätte sich eingeschlossen, wenn sie gekonnt hätte. Bevor der Wärter kam, hatte sie einige Übungen gemacht, die sie in einem Buch gefunden hatte. Der Wärter kam zum Saubermachen. Der Toilettensitz unter ihr fühlte sich kalt an. Das weiße Licht der Neonleuchten, die den Spiegel umgaben, ließen alles kalt und zu hell erscheinen.
    Zuerst hatte man ihr eine »Wohngefährtin« gegeben, eine Frau von etwa fünfundvierzig. Sie hatte eine Art »Mutterstelle« einnehmen sollen, aber die »mütterliche Wohngefährtin« hatte harte grüne Augen mit kleinen Flecken darin. Die Flecken waren wie Eis. Dies waren die Leute, die ihre richtige Mutter getötet hatten, und nun sollte sie mit dieser »mütterlichen Wohngefährtin« zusammenleben. Charlie sagte ihnen, daß sie keine »mütterliche Wohngefährtin« wolle. Aber sie lächelten nur. Und dann hörte Charlie auf zu reden, und sie sagte kein Wort mehr, bis die »Frau« ging und ihre eiskalten grünen Augen mit ihr. Charlie hatte mit diesem Hockstetter ein Abkommen getroffen: sie würde seine Fragen beantworten und nur seine, wenn er die »mütterliche Wohngefährtin« fortschaffte. Die einzige Gesellschaft, die sie wolle, sei die ihres Vaters, und wenn sie die nicht bekommen könne, wolle sie allein bleiben.
    In mancher Hinsicht waren die letzten fünf Monate (man hatte ihr gesagt, daß es fünf gewesen seien; sie selbst hatte es nicht empfunden) wie ein Traum gewesen. Es gab keine Möglichkeit, die Zeit zu registrieren. Die Gesichter kamen und gingen, ohne daß sich Erinnerungen mit ihnen verknüpften, sie waren entkörperlicht wie Ballons, und auch das Essen hatte nie einen charakteristischen Geschmack. Manchmal kam sie sich selbst wie ein Ballon vor. Sie glaubte zu schweben. Aber irgendwie, das sagte ihr deutlich ihr eigener Verstand, verdiente sie ihr Schicksal. Sie war eine Mörderin. Sie hatte das wichtigste der Zehn Gebote gebrochen und war gewiß zur Hölle verdammt.
    Nachts, wenn so wenig Licht eingeschaltet war, daß ihr der Raum selbst wie ein Traum erschien, dachte sie darüber nach. Sie sah alles vor sich. Die Männer auf der Veranda, die Flammenkronen trugen. Die explodierenden Autos. Die Hühner, die anfingen zu brennen. Und der Brandgeruch war immer wie der Geruch der glimmenden Füllung ihres Teddybärs.
    (Und es hatte ihr gefallen)
    Das war es; das war das Problem. Je öfter sie es getan hatte, um so mehr hatte es ihr gefallen; je öfter sie es getan hatte, um so mehr hatte sie ihre Macht empfunden, etwas, das in ihr lebte und immer stärker wurde. Es war wie eine Pyramide, die auf dem Kopf stand, und je öfter man es tat, um so schwerer fiel es einem, es aufzuhalten. Es aufzuhalten, tat weh,
    (Und es machte Spaß)
    aber sie wollte es trotzdem nie wieder tun. Sie würde eher hier drinnen sterben als es noch einmal tun. Manchmal wollte sie sogar hier sterben. Die Vorstellung, in einem Traum zu sterben, hatte überhaupt nichts Beängstigendes.
    Die einzigen Gesichter, die ihr nicht völlig verfremdet erschienen, waren die von Hockstetter und dem Wärter, der jeden Tag kam, um bei ihr sauberzumachen. Charlie hatte ihn einmal gefragt, warum er denn jeden Tag kommen müsse, da sie ja nichts schmutzig mache.
    John – so hieß er – hatte einen zerknautschten alten Schreibblock aus der Gesäßtasche und einen billigen Kugelschreiber aus der Brusttasche hervorgeholt. »Das ist nun mal mein Job, Kleine«, sagte er. Und auf das Papier schrieb er: Weil sie nur Scheiße im Kopf haben, warum sonst?
    Fast hätte sie losgelacht, aber sie dachte gerade noch rechtzeitig an Männer mit Feuerkronen, Männer, die rochen wie verrannte Teddybären. Lachen wäre gefährlich gewesen. So tat sie einfach, als hätte sie die Notiz nicht gesehen oder nicht verstanden. Das Gesicht des Wärters war arg zugerichtet. Er trug eine Augenklappe und tat ihr leid. Einmal hätte sie ihn fast gefragt, wie das denn passiert sei – ob er vielleicht einen Autounfall gehabt habe –, aber das wäre noch gefährlicher gewesen, als über seine Notiz zu lachen. Sie wußte nicht warum, aber sie spürte es in jeder Faser.
    Sein Gesicht bot einen schrecklichen Anblick, aber sonst schien er ganz nett zu sein, und sein Gesicht sah auch nicht schlimmer aus als das des kleinen Chuckie Eberhardt in Harrison.

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