Feuerkind
dann beide Netze voll glatter, silberner Fische einholen und davon leben.
»Schneller!« rief sie triumphierend. »Oh, Necromancer, lauf schneller, lauf schneller, lauf –«
Und in diesem Augenblick trat eine Silhouette vor sie in das sich verbreiternde Licht und versperrte den Weg ins Freie. Zuerst, wie immer in diesem Traum, dachte sie, es sei ihr Vater, war dann sicher, daß es ihr Vater war, und ihre Freude war so groß, daß es fast schmerzte … bis sich ihre Freude plötzlich in äußerstes Entsetzen verwandelte.
Sie hatte gerade noch Zeit zu registrieren, daß der Mann zu groß und zu breit war – aber dennoch seltsam vertraut, schrecklich vertraut, selbst als Silhouette – als Necromancer sich schreiend aufbäumte.
Können Pferde schreien? Ich wußte nicht, daß sie schreien können - Sie versuchte, sich festzuhalten, und ihre Schenkel glitten am Rücken des Pferdes entlang, als seine Hufe die Luft traten, und der Wallach schrie nicht, er wieherte, aber es war ein Schrei, und hinter sich hörte sie noch mehr schreiendes Wiehern. Oh, mein Gott, dachte sie, da hinten sind Pferde, und die Wälder brennen
Vorn stand immer noch die Silhouette, diese schreckliche Gestalt im Licht. Jetzt kam sie ihr entgegen; sie war auf den Weg gestürzt, und Necromancer berührte mit dem Maul leicht ihren nackten Bauch.
»Tun Sie meinem Pferd nichts!« schrie sie die Silhouette an, ihren Traumvater, der nicht ihr Vater war. »Tun Sie den Pferden nichts. Oh, bitte, tun Sie den Pferden nichts!«
Aber die Gestalt kam näher und zog einen Revolver, und das war immer der Augenblick, da Charlie aufwachte, manchmal mit einem Schrei und manchmal schweißgebadet, und dann wußte sie, daß sie schlecht geträumt hatte, und sie konnte sich an nichts erinnern als an den beglückenden Ritt durch den Wald und den Brandgeruch … und an das ekelhafte Gefühl, daß man sie verraten hatte.
Und irgendwann während des Tages streichelte sie dann Necromancer oder legte vielleicht ihre Wange an seine warme Schulter und spürte eine Angst, für die sie keinen Namen hatte.
Endspiel
1
Es war ein größerer Raum.
Bis vor einer Woche hatte er als konfessionsneutrale Kapelle der Firma gedient. Das Tempo, in dem jetzt alles ablief, hätte durch die Leichtigkeit symbolisiert werden können, mit der es Cap gelungen war, Hockstetters Wünsche durchzusetzen. Eine neue Kapelle – nicht etwa nur ein zusätzlicher Raum, sondern eine richtige Kapelle – sollte an der Ostseite des Grundstücks errichtet werden. Inzwischen wollte man die restlichen Tests mit Charlie McGee hier durchführen.
Die unechte Holztäfelung und das Gestühl hatte man herausgerissen. Fußboden und Wände waren mit einer Asbestschicht isoliert worden, die wie Stahlwolle aussah. Alles war mit gehärtetem Stahlblech ausgekleidet. Die Stelle, an der sich Altar und Schiff befunden hatten, war abgeteilt worden. Hockstetter hatte seine Kontrollinstrumente und einen Computer-Terminal installieren lassen. Die Arbeiten hatten nur eine Woche gedauert und waren vier Tage vor Herman Pynchots gräßlichem Tod begonnen worden.
Jetzt, an einem frühen Oktobertag um zwei Uhr nachmittags, stand in der Mitte des großen Raumes eine dicke Mauer aus Schlacke. Links davon hatte man einen riesigen flachen Wassertank aufgestellt. In diesem Tank, der etwa zwei Meter tief war, lagen über 1000 Kilogramm Eis. Und daneben stand Charlie McGee. Sie sah klein und niedlich aus in ihrem blauen Drellanzug und den rot-schwarz gestreiften Rugbysocken. Ihre blonden Zöpfe waren mit kleinen schwarzen Samtschleifen gebunden und fielen ihr über die Schultern.
«Okay, Charlie«, sagte Hockstetter über das Intercom. Wie alles andere war auch das Intercom in aller Eile installiertworden, und die Wiedergabe war dünn und blechern. »Sobald du willst, können wir anfangen.«
Die Kamera nahm alles in Farbe auf. Auf diesem Film neigt das Mädchen leicht den Kopf, und einige Sekunden lang geschieht überhaupt nichts. Am linken unteren Filmrand wird digital die Temperatur angezeigt. Plötzlich steigt sie von einundzwanzig auf siebenundzwanzig und dann auf fünfunddreißig. Danach steigen die Werte so rasch, daß man nur noch ein rötliches Flimmern erkennt. Die elektronische Temperatursonde ist mitten in der Schlackenmauer angebracht. Jetzt läuft der Film in Zeitlupe ab; nur so läßt sich der ganze Vorgang beobachten. Für die Männer, die vom Kontrollraum aus durch die bleiverglasten Luken zuschauen, geschah es mit
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