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Feuerkind

Feuerkind

Titel: Feuerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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»Natürlich. Ich bringe Sie hinaus.«
    »Danke.«
22
    Die beiden Männer, die ihn hergebracht hatten, sahen ihn mißtrauisch an – das Kleenex-Tuch, die tränenden Augen und der Arm, den Cap ihm tröstend um die Schulter gelegt hatte. Denselben Gesichtsausdruck sah er bei Caps Sekretärin.
    »Er ist zusammengebrochen und hat geweint, als er hörte, daß Pynchot tot ist«, sagte Cap ruhig. »Er hat sich sehr aufgeregt. Ich werde veranlassen, daß er mit mir zusammen an Hermans Beerdigung teilnehmen kann. Das möchten Sie doch gern, nicht wahr, Andy?«
    »Ja«, sagte Andy. »Bitte. Der arme Dr. Pynchot.«
    Und plötzlich brach er wirklich in Tränen aus. Die beiden Männer führten ihn an Senator Thompsons Sekretär vorbei, der mit einigen blauen Aktendeckeln in der Hand ein wenig verlegen dastand. Sie führten Andy hinaus, der immer noch weinte Der Ausdruck von Ekel in ihren Gesichtern ähnelte dem Caps -dieser fette Drogensüchtige, der die Kontrolle über seine Emotionen und jeden Sinn für Perspektive verloren hatte und der um seinen Kerkermeister Tränen vergoß, widerte sie an.
    Andys Tränen waren echt … aber er weinte um Charlie.
23
    John war zwar immer dabei, wenn sie ausritt, aber in ihren Träumen ritt Charlie allein. Der Oberstallknecht Peter Drabbe hatte ihr einen kleinen englischen Sattel besorgt, aber in ihren
    Träumen saß sie ohne Sattel auf dem Rücken des Pferdes. Sie und John ritten auf den Reitwegen, die sich kreuz und quer durch das Gelände der Firma zogen, in die Spielzeugwälder von Zuckerkiefern hineinführten und wieder heraus und auch um den Ententeich herumliefen.
    Meist ritten sie langsam, fielen höchstens gelegentlich in leichten Trab, aber in ihren Träumen galoppierte sie auf Necromancer schneller und immer schneller durch einen richtigen Wald; sie schössen auf wilden Pfaden daher, und grün fiel das Licht von oben durch die dichten Zweige, und ihre Haare flatterten im Wind.
    Sie fühlte Necromancers Muskeln unter dem seidigen Fell spielen, hielt sich an seiner Mähne fest und flüsterte ihm ins Ohr, daß er schneller laufen sollte, schneller … schneller.
    Necromancer gehorchte. Seine Hufe donnerten. Der Weg durch dieses verschlungene Grün war wie ein Tunnel, und von hinten irgendwo kam ein leises, prasselndes Geräusch und
    (Die Wälder brennen)
    der Geruch von Rauch. Es war ein Feuer, ein Feuer, das sie angezündet hatte, aber sie hatte kein Schuldgefühl – sie emp -fand nur Freude. Sie waren schneller als das Feuer. Necromancer konnte alles. Sie würden aus dem Waldtunnel entkommen. Sie ahnte vor sich schon das Licht.
    »Schneller. Schneller.«
    Wie glücklich sie sich fühlte. Das war die Freiheit! Sie wußte nicht mehr, wo ihre Schenkel endeten und Necromancers Flanken begannen. Sie waren eins, zusammengeschweißt wie die Metallstücke, die sie bei den Tests durch ihre Kraft zusammenschweißen konnte. Vor ihnen lag ein riesiger Haufen Windbruch, herabgewehte Äste, weißes Holz, wie eine aus Skeletten errichtete Pyramide. In wilder Freude stieß sie Necromancer leicht die nackten Füße in die Weichen und spürte, wie sich seine Muskeln anspannten.
    Sie sprangen und schwebten einen Augenblick lang durch die Luft. Sie hatte den Kopf zurückgeworfen, hielt sich an Pferdehaaren fest und schrie – nicht aus Angst. Sie schrie, weil sie sonst explodiert wäre. Frei, frei, frei… Necromancer, ich liebe
    Leicht übersprangen sie das Hindernis, aber der Brandgeruchwar schärfer und klarer – hinter sich hörten sie ein knackendes Geräusch, und erst als ein Funke herabfiel und ihr wie eine Nessel ins Fleisch stach, merkte sie, daß sie nackt war. Nackt,
    (Aber die Wälder brennen)
    frei und ihrer Fesseln ledig raste sie auf Necromancer dem Licht entgegen.
    »Schneller«, flüsterte sie. »Schneller, o bitte.«
    Irgendwie wurde der schwarze Wallach sogar noch schneller. Der Wind hörte sich in Charlies Ohren wie Donner an. Sie brauchte nicht zu atmen; durch ihren halb geöffneten Mund strömte die Luft ihr von selbst durch die Kehle. In dunstigen Streifen schien die Sonne zwischen den alten Bäumen hindurch. Und vor ihnen wurde es hell – der Wald war zu Ende, und offenes Land breitete sich aus, über das sie mit Necromancer für immer dahinrasen konnte. Das Feuer lag hinter ihnen, der verhaßte Rauchgeruch, das Gefühl der Angst. Die Sonne lag vor ihnen, und Charlie würde auf Necromancer bis an das Meer reiten, wo sie vielleicht ihren Vater finden würde, und sie würden

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