Feuerkind
Haben Sie verstanden?«
»Extreme Zwangsmaßnahmen«, sagte Norville gleichmütig. »Jawohl, Sir.«
»Gut, Norville«, sagte Cap leise. Er legte den Hörer auf und wartete auf John Rainbird.
Im nächsten Augenblick ging die Tür auf, und da stand er schon, in Lebensgröße, aber doppelt so häßlich. Dieser Irokesenmischling bewegte sich so leise, daß man seine Anwesenheit im Zimmer überhaupt nicht wahrnahm, wenn man sich gerade mit Lesen oder der Erledigung von Korrespondenz beschäftigte. Cap wußte, wie ungewöhnlich das war. Die meisten Leute spürten die Anwesenheit eines anderen im Raum. Wanless hatte diese Fähigkeit einmal beschrieben. Er hatte sie nicht den sechsten Sinn genannt, sondern sie als eine Art Instinkt bezeichnet, der unmerklich aus den Wahrnehmungen der normalen Sinne gespeist wird. Aber bei Rainbirds Erscheinen funktionierte dieser Instinkt nicht. Bei ihm hatte man keine Wahrnehmung, und es gab nichts, was auch nur einen Nerv vibrieren ließ. Bei einem Glas Portwein in Caps Wohnung hatte sich Al Steinowitz einmal ganz seltsam über Rainbird geäußert: »Er ist der einzige Mensch, den ich kenne, der die Luft nicht vor sich herschiebt, wenn er geht.« Und Cap war froh, daß Rainbird auf ihrer Seite war, denn er war der einzige Mensch, den er kannte, vor dem er sich fürchtete.
Er war ein Ungeheuer, ein Ungetüm von einem Mann. Er war fast zwei Meter groß und trug sein glänzendes schwarzes Haar zurückgekämmt und zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden. Vor zehn Jahren, während seines zweiten Einsatzes in Vietnam, war direkt vor ihm ein Sprengsatz hochgegangen, und jetzt war sein Gesicht ein Chaos aus vernarbtem Gewebe und verbranntem Fleisch. Sein linkes Auge fehlte, und wo es gesessen hatte, war nur noch die Höhle. Plastische Chirurgie oder ein künstliches Auge hatte er abgelehnt, weil er, wie er sagte, in den ewigen Jagdgründen seine Kampfnarben würde vorzeigen müssen. Wenn er so etwas sagte, wußte man nie, ob man ihm glauben konnte; man wußte nie, ob er es ernst meinte oder ob er einen aus irgendeinem Grund einfach nur zum Narren halten wollte.
Über die Jahre hinweg war Rainbird ein überraschend guter Agent gewesen – teils, weil er wie alles andere aussah, nur nicht wie ein Agent, hauptsächlich aber, weil hinter der häßlichen Maske ein fähiger, hell lodernder Verstand steckte. Er sprach vier Sprachen fließend, in drei weiteren konnte er sich verständigen. Zur Zeit nahm er an einem Hypnosekurs in Russisch teil. Wenn er sprach, klang seine Stimme angenehm leise, musikalisch und kultiviert.
»Guten Abend, Cap.«
»Ist es schon so spät?« fragte Cap überrascht.
Rainbird lächelte und zeigte dabei ein Gebiß von makellosem Weiß – Haifischzähne, dachte Cap. »Um vierzehn Minuten zu spät«, sagte Rainbird. »Ich habe in Venedig auf dem schwarzen Markt eine Seiko-Digitaluhr gekauft. Es ist faszinierend. Kleine schwarze Ziffern, immer andere. Eine technologische Leistung. Ich denke oft, Cap, daß wir den Krieg in Vietnam nicht geführt haben, um ihn zu gewinnen, sondern um technologische Leistungen zu vollbringen. Wir haben ihn geführt, um billige Digitaluhren zu erfinden, das Ping-Pong-Spiel, das man an sein Fernsehgerät anschließen kann, den Taschenrechner. Im Dunkel der Nacht schaue ich auf meine Armbanduhr. Sie sagt mir, daß ich Sekunde um Sekunde meinem Tode näher bin. Eine gute Nachricht.«
»Setzen Sie sich, alter Freund«, sagte Cap. Wie immer, wenn er mit Rainbird sprach, hatte er ein trockenes Gefühl im Mund, und er mußte auf seine Hände achten, damit sie sich auf der polierten Tischplatte nicht nervös ineinander verkrampften. Bei alledem war er davon überzeugt, daß Rainbird ihn mochte -wenn überhaupt die Rede davon sein konnte, daß Rainbird irgendeinen Menschen mochte.
Rainbird setzte sich. Er trug alte Blue Jeans und ein verschossenes Leinenhemd.
»Wie war Venedig?« fragte Cap.
»Es versinkt«, sagte Rainbird.
»Ich habe einen Job für Sie, wenn Sie wollen. Es ist eine Bagatellsache, könnte aber zu einem Auftrag führen, den Sie wesentlich interessanter finden werden.«
»Worum geht es?«
»Natürlich nur freiwillig«, sagte Cap. »Schließlich haben Sie noch Urlaub.«
»Worum geht es?« wiederholte Rainbird leise, und Cap sagte es ihm. Rainbird blieb nur fünfzehn Minuten, aber es kam Cap wie eine Stunde vor.
Als der baumlange Indianer gegangen war, stieß Cap einen langen Seufzer aus. Wanless und Rainbird an einem einzigen
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