Feuerkind
Wallace und Dan Grabowski Brathuhn mit Sahnesoße und Reis gegessen. Alle drei in der Abteilung für Englisch. Alle gute Freunde. Und wie gewöhnlich hatte jemand einen Polenwitz für Don mitgebracht, der solche Witze sammelte. Ev hatte ihn erzählt, und es ging um den Unterschied zwischen einer polnischen und einer normalen Leiter: die polnische Leiter hatte an der obersten Sprosse ein Stopschild. Alle lachten, als sich in Andy eine leise, sehr ruhige Stimme meldete.
(Zu Hause stimmt etwas nicht)
Das war alles. Es war genug. Es verstärkte sich auf ähnliche Weise wie seine Kopfschmerzen, wenn er seine Fähigkeit, andere psychisch zu beeinflussen, übertrieben eingesetzt hatte und umkippte. Aber dies hatte nichts mit dem Kopf zu tun; all seine Emotionen schienen sich ineinander zu verwirren, fast träge, als ob sie Fäden wären und eine bösartige Katze auf seine Nervenbahnen losgelassen worden wäre, um mit ihnen zu spielen und sie durcheinanderzubringen. Er fühlte sich nicht mehr wohl.
Das Huhn in Sahnesoße verlor jeden, wenn auch ohnehin faden Reiz. Sein Magen flatterte, und sein Herz schlug so schnell, als ob er gerade einen schlimmen Schreck bekommen hätte. Und dann fing es in den Fingern seiner rechten Hand plötzlich an zu klopfen, als hätte er sie sich an einer Tür geklemmt.
Abrupt stand er auf. Ihm brach der kalte Schweiß aus.
»Hört mal, ich fühle mich nicht wohl«, sagte er. »Kannst du meine Ein-Uhr-Vorlesung übernehmen, Bill?« »Ach, diese Möchtegernpoeten? Aber ja. Kein Problem. Was hast du denn?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht etwas Falsches gegessen.«
»Du siehst ein bißchen blaß aus«, sagte Don Grabowski. »Du solltest mal zur Krankenabteilung rübergehen, Andy.«
»Das sollte ich vielleicht«, sagte Andy.
Er ging, aber er hatte durchaus nicht die Absicht, die Krankenabteilung aufzusuchen.
Es war Viertel nach zwölf. An diesem Spätsommertag lag der Campus recht schläfrig da. Zudem war es die letzte Vorlesungswoche des Semesters. Als er hinauseilte, winkte er Ev, Bill und Don noch kurz zu. Seit jenem Tage hatte er keinen von ihnen wiedergesehen.
Im Erdgeschoß des Unionsgebäudes ging er in eine Telefonzelle und rief zu Hause an. Niemand nahm ab. Warum auch? Charlie war bei den Dugans, und Vicky konnte einkaufen gegangen sein. Oder zum Friseur … Vielleicht hatte sie auch Tammy Upmore besucht, und möglicherweise hatte sogar Eileen Bacon sie zum Essen eingeladen. Dennoch, seine Nerven strafften sich um eine ganze Drehung. Fast kreischten sie schon.
Er verließ das Unionsgebäude, und halb ging, halb rannte er zu seinem Kombiwagen, den er vor der Prince Hall geparkt hatte. Er fuhr quer durch die Stadt nach Lakeland. Er fuhr verkrampft und riskant. Er ignorierte Rotlicht, schnitt andere Wagen und hätte fast einen Hippie von seinem Fahrrad geholt. Der Hippie zeigte ihm einen Vogel. Andy bemerkte es kaum. Sein Herz schlug jetzt wie ein Schmiedehammer. Er fühlte sich, als hätte er ein Aufputschmittel genommen.
Sie wohnten am Conifer Place – in Lakeland waren, wie in so vielen Vorortsiedlungen der fünfziger Jahre, die meisten Straßen nach Bäumen oder Buschpflanzen benannt. In der Mittagshitze dieses Augusttages lag die Straße seltsam verlassen da. Das verstärkte noch sein Gefühl, daß etwas Schlimmes geschehen war. Weil so wenige Wagen am Bordstein parkten, wirkte die Straße viel breiter.
Auch die paar Kinder, die hier und da spielten, konnten dieses seltsame Gefühl der Verlassenheit nicht vertreiben; die meisten aßen gerade zu Mittag oder waren drüben auf dem Spielplatz. Mrs. Flynn aus der Laurel Lane zog mit einem Einkaufswagen voll Lebensmitteln vorbei, und unter ihren avocadofarbenen Stretchhosen hob sich rund und stramm wie ein Fußball ihr fetter Wanst ab. Die ganze Straße entlang drehten sich träge die Rasensprenger und sprühten Wasser ins Gras und zauberten Regenbogen in die Luft.
Andy fuhr auf den Bordstein und stieg so hart auf die Bremse, daß sein Sitzgurt blockierte und der Wagen sich nach vorn neigte. Als er den Motor abstellte, ließ er den Schalthebel in Fahrtstellung, etwas, was er nie tat, und ging dann über den bröckelnden Betonweg zum Haus. Er hatte ihn immer schon ausbessern wollen, war aber nie dazu gekommen. Selbst das Geräusch seiner Schritte klang verfremdet. Er bemerkte, daß die Jalousie vor dem großen Panoramafenster des Wohnzimmers (Ein Fenster wie ein Wandgemälde, hatte es der Makler genannt, der ihnen das Haus verkauft
Weitere Kostenlose Bücher