Feuerkind
feierten sie seinen Geburtstag und am 24. März Charlies. Sie wurde acht, und manchmal betrachtete Andy sie mit Erstaunen, wie jemanden, den man zum ersten Mal sieht. Sie war kein so kleines Mädchen mehr; sie reichte ihm schon bis über die Ellbogen. Ihr Haar war länger, und sie flocht es zu Zöpfen, um es nicht immer im Gesicht zu haben. Sie würde eine schöne Frau werden. Sie war es schon, trotz ihrer roten Nase.
Sie waren ohne Wagen. Irv Manders’ Willys war im Januar eingefroren, und Andy vermutete, daß der Zylinderblock gerissen war. Er hatte jeden Tag den Motor gestartet, mehr aus Verantwortungsgefühl als aus einem anderen Grund, denn selbst ein Vierradantrieb hätte sie nach Neujahr nicht von Großvaters Grundstück weggebracht. Der Schnee, makellos, abgesehen von den Spuren von Eichhörnchen und Hirschen und denen eines aufdringlichen Waschbären, der herkam, um erwartungsvoll an der Abfalltonne zu schnüffeln, lag bis dahin über einen halben Meter hoch.
In dem kleinen Schuppen hinter der Hütte standen altmodische Langlaufskier – sechs Paar, aber keines, das Charlie gepaßt hätte. Das war auch gut so. Andy wollte sie möglichst in der Hütte lassen. Mit ihrer Erkältung konnte man leben, aber Andy wollte kein erneutes Fieber riskieren.
Er fand ein Paar von Großvaters Skistiefeln. Sie waren verstaubt und rissig und steckten in einem Pappkarton unter der Werkbank, an der der alte Mann früher Fensterläden gehobelt und Türen gezimmert hatte. Er fettete sie ein, um sie geschmeidiger zu machen, und stellte fest, daß sie immer noch zu groß waren, wenn er kein Zeitungspapier hineinstopfte. Das Ganze hatte etwas Komisches, aber es war auch ein wenig unheimlich Während dieses langen Winters mußte er oft an Großvater denken. Wie hätte er ihre heikle Lage wohl beurteilt?
Im Laufe des Winters schnallte er sich ein halbes Dutzend Mal die Langlaufskier unter (sie hatten keine modernen Bindungen, sondern ein verwirrendes und irritierendes Durcheinander von Riemen, Schnallen und Ringen) und machte sich auf den Weg über die weite, gefrorene Fläche des Tashmore-Sees zur Anlegestelle von Bradford. Von dort führte ein schmaler Weg in vielen Windungen zu dem zwei Meilen östlich des Sees zwischen den Hügeln versteckten Dorf.
Er brach immer schon vor dem Morgengrauen auf, Großvaters Rucksack auf dem Rücken, und kam nie vor drei Uhr nachmittags zurück. Einmal entging er nur knapp einem heulenden Schneesturm, der ihm jede Orientierung genommen hätte und ihn blind auf dem Eis hätte umherirren lassen. Als er endlich kam, weinte Charlie vor Erleichterung – und bekam dann einen beängstigenden Hustenanfall.
Er unternahm diese Ausflüge nach Bradford, um Vorräte und Kleidung für sich und Charlie zu kaufen. Zuerst bezahlte er mit Großvaters ›letzter Reserve‹, und später brach er in drei der größeren Häuser am entfernten Ufer des Sees ein und stahl Geld. Er war nicht stolz darauf, aber für ihn war es eine Frage des Überlebens. Die Häuser, die er wählte, hätten auf dem Immobilienmarkt vielleicht achtzigtausend Dollar eingebracht, und er nahm an, daß die Eigentümer ihre dreißig oder vierzig Dollar Kleingeld verschmerzen konnten. Das einzige, was er in diesem Winter sonst noch stahl, war Öl aus dem großen Faß hinter einem modernen Bungalow mit dem sonderbaren Namen HAUS WIRRWARR. Er zapfte etwa vierzig Gallonen ab.
Er ging ungern nach Bradford. Er wußte genau, und das mißfiel ihm, daß die alten Kerle, die bei der Registrierkasse um den großen bauchigen Ofen herumsaßen, über den Fremden redeten, der jenseits des Sees in einer der Hütten wohnte. Geschichten machten sich manchmal selbständig, und manchmal kamen sie in die falschen Ohren. Ein geflüstertes Wort genügte – und schon stellte die Firma unvermeidlich die Verbindung zwischen Andy, seinem Großvater und der Hütte seines Großvaters in Tashmore, Vermont, her. Aber er wußte einfach nicht, was er sonst tun sollte. Sie mußten essen und konnten nicht den ganzen Winter von Sardinenkonserven leben. Er brauchte frisches Obst für Charlie und Vitamintabletten und Kleidung. Charlie war mit einer dreckigen Bluse, ihrer roten Hose und einer Garnitur Unterwäsche hergekommen. Im Haus war kein Hustensaft, dem er traute, es gab kein frisches Gemüse und, verrückt genug, kaum Streichhölzer. Jedes Haus, in das er einbrach, hatte eine Feuerstelle, aber er fand nur eine einzige Schachtel Streichhölzer. Er hätte es weiter
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