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Feuerkind

Feuerkind

Titel: Feuerkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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entfernt versuchen können – es gab noch mehr Hütten –, aber dort drüben war das Gelände zum großen Teil voll erschlossen, und die Bezirkspolizei fuhr gelegentlich Streife. Außerdem wohnten manche Leute das ganze Jahr dort.
    In der kleinen Gemischtwarenhandlung in Bradford konnte er alles kaufen, was er brauchte, dazu drei derbe Hosen und drei Wollhemden, die ungefähr Charlies Größe hatten. Unterwäsche für Mädchen gab es nicht, und sie mußte sich mit Knabenunterwäsche Größe acht begnügen. Das ärgerte und amüsierte sie zugleich. Der Sechsmeilen-Ausflug nach Bradford auf Großvaters Skiern war Andy lästig, aber gleichzeitig machte er ihm Spaß. Er ließ Charlie ungern allein, nicht, weil er ihr nicht traute, sondern weil er ständig mit der Angst lebte, sie bei der Rückkehr nicht mehr vorzufinden … oder tot. Von den alten Stiefeln bekam er Blasen, ganz gleich, wie viele Socken er anzog. Wenn er sich zu schnell bewegte, bekam er Kopfschmerzen, und dann erinnerte er sich an die abgestorbenen Stellen an seinem Gesicht, und er stellte sich sein Gehirn als alten, abgefahrenen Reifen vor, der durch langen, rücksichtslosen Gebrauch schon bis auf die Leinwand abgewetzt war. Wenn er mitten auf diesem verdammten See einen Schlaganfall bekäme und erfrieren würde, was sollte dann aus Charlie werden?
    Aber auf diesen Ausflügen konnte er am besten denken. Der Tashmore-See war nicht sehr breit – der Weg von einem Ufer zum anderen maß knapp eine Meile –, aber er war sehr lang-Als der Schnee im Februar über einen Meter hoch das Eis bedeckte, machte Andy manchmal auf halber Strecke eine Pause und schaute nach rechts und links über den See. Der See erschien dann wie ein langer, mit blendendweißen Fliesen ausgelegter Korridor, der sich ohne Unterbrechung nach beiden Seiten hin erstreckte und sich fern am Horizont verlor. Zuckerbestäubte Tannen säumten seine Ufer. Und oben das kalte, strahlende, unbarmherzige Blau des Winterhimmels oder das tiefhängende, gestaltlose Weiß bevorstehenden Schnees Vielleicht hörte man den fernen Schrei einer Krähe oder ein dumpfes Knarren, wenn das Eis arbeitete, sonst keinen Laut. Die Anstrengung kräftigte seinen Körper. Zwischen Haut und Kleidung bildete sich eine warme Schweißschicht, und es war ein gutes Gefühl, in Schweiß zu geraten und ihn sich dann von der Stirn zu wischen. Als er noch Yeats und Williams lehrte und Examenshefte korrigierte, war ihm dieses Gefühl fast abhanden gekommen.
    In dieser Stille und durch die volle Anspannung seiner Körperkräfte kamen ihm klare Gedanken, und er konnte über das Problem nachdenken. Etwas mußte geschehen – hätte schon lange geschehen müssen, aber das war Vergangenheit. Sie waren zu Großvaters Haus gekommen, um hier den Winter zu verbringen, aber sie waren immer noch auf der Flucht. Die Sorgen, die er sich wegen der alten Männer machte, die mit ihren Pfeifen und ihren neugierigen Blicken um den Ofen herumsaßen, führte ihm das überdeutlich vor Augen. Er und Charlie waren in die Enge getrieben, und es mußte einen Ausweg geben.
    Und immer noch war er wütend, denn es war unrecht. Sie hatten kein Recht, ihn zu verfolgen. Er und seine Familie waren amerikanische Bürger und lebten in einer angeblich offenen Gesellschaft, aber seine Frau war ermordet, seine Tochter entführt worden, und jetzt wurden sie gejagt wie Kaninchen auf dem Feld.
    Wieder überlegte er, daß, wenn er seine Geschichte jemandem – oder mehreren Leuten – erzählen könnte, die ganze Sache wahrscheinlich auffliegen würde. Er hatte es vorher nie versucht, weil diese seltsame Hypnose – die gleiche Hypnose, die zu Vickys Tod geführt hatte – noch wirksam gewesen war, wenigstens in gewissem Ausmaß. Er hatte seine Tochter nicht wie eine zur Schau gestellte Mißgeburt auf der Kirmes aufwachsen lassen wollen. Er hatte sie nicht zur Institution werden lassen wollen – weder zum Besten des Landes noch zu ihrem eigenen Besten. Selbst nachdem er seine Frau mit diesem Lappen im Mund in den Schrank gezwängt vorgefunden hatte, hatte er sich noch belogen und sich eingeredet, daß man sie früher oder später in Ruhe lassen würde. Wir spielen nur aus Spaß, hatten sie als Kinder gesagt. Am Ende gibt jeder das Geld zurück.
    Aber sie waren keine Kinder, die aus Spaß spielten, und niemand würde ihm oder Charlie etwas zurückgeben, wenn das Spiel zu Ende war. Bei diesem Spiel war alles ernst.
    In dieser lautlosen Stille begriff er einige harte

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