Feuerklingen (First Law - Band 2)
Sie bewegten sich in vollkommenem Gleichschritt zu den tiefen Schlägen großer Trommeln, eine starre Reihe nach der nächsten, und der harte Aufschlag ihrer stampfenden Stiefel grollte wie der weit entfernte Donner in der Nacht zuvor. Die Sonne hatte bereits alle Spuren des Regens getilgt und glänzte nun spiegelhell auf Tausenden von Helmen, Tausenden von Schilden, Tausenden von Schwertern, Tausenden von Pfeilspitzen und Rüstungen. Ein Wald schimmernder Speere bewegte sich unerbittlich vorwärts. Eine gnadenlose, unermüdliche, unaufhaltsame Flut von Menschen.
Oben auf der Landmauer standen Unionssoldaten verstreut, hockten hinter der Brustwehr, spielten nervös mit ihren Flachbogen und sahen dem heranrückenden Heer sorgenvoll entgegen. Glokta spürte ihre Angst.
Und wer könnte es ihnen verübeln. Wir sind jetzt vermutlich schon zehn zu eins unterlegen.
Hier oben im Wind gab es keine gebrüllten Befehle, keine hastigen Vorbereitungen. Nur Schweigen.
»Da kommen sie«, bemerkte Nicomo Cosca, der die ganze Szenerie mit einem Grinsen betrachtete. Er war der Einzige, der keine Furcht zu haben schien.
Entweder hat er Nerven wie Drahtseile oder aber eine fast erlahmte Vorstellungskraft. Ob er faul in einer Kaschemme säuft oder aber auf den Tod wartet, scheint für ihn dasselbe zu sein.
Cosca hatte ein Bein auf die Brustwehr gestemmt, die Unterarme über dem Knie gekreuzt und hielt eine halb volle Flasche in der Hand. Er war für die kommende Schlacht ebenso nachlässig gekleidet wie beim Trinken – die gleichen ausgetretenen Stiefel mit ihren ausgeleierten Schäften, die gleichen abgewetzten Hosen. Sein einziges Zugeständnis gegenüber den Gefahren des Schlachtfelds war ein schwarzer Brustpanzer, der an der Vorder- und Rückseite mit feinen goldenen Ornamenten verziert war. Auch dieses Stück hatte schon einmal bessere Zeiten gesehen; der Lack war an einigen Stellen abgeblättert und die Nieten rostbefleckt.
Aber einst muss es einmal ein echtes Meisterwerk gewesen sein.
»Ihr Brustpanzer ist ja ein wirklich schönes Stück.«
»Meinen Sie?« Cosca sah auf die Rüstung hinunter. »Als er neu war, sicherlich, aber er hat inzwischen ganz schön was mitgemacht. Der lag mehr als einmal draußen im Regen. War ein Geschenk der Großherzogin Sefeline von Ospria, als kleines Dankeschön für den Sieg über die Truppen von Sipani nach fünfmonatigem Krieg. Gleichzeitig versprach sie mir ihre ewige Freundschaft.«
»Schön, wenn man Freunde hat.«
»Wie man’s nimmt. Sie versuchte noch in derselben Nacht, mich ermorden zu lassen. Durch meine Siege war ich bei Sefelines Untertanen einfach zu beliebt geworden. Sie fürchtete, ich könnte versuchen, selbst die Macht zu ergreifen. Schüttete mir Gift in den Wein.« Cosca nahm einen großen Schluck aus seiner Flasche. »Hat meine Lieblingsbettgespielin umgebracht. Ich musste fliehen, mit kaum mehr als diesem verdammten Brustpanzer, und mir eine neue Anstellung beim Fürsten von Sipani suchen. Der alte Drecksack hat nicht halb so gut gezahlt, aber wenigstens konnte ich sein Heer gegen die Herzogin führen und mir die Befriedigung verschaffen, schließlich auch sie zu vergiften.« Er zog ein bedauerndes Gesicht. »Sie lief ganz blau an im Gesicht. Hellblau, wirklich. Man darf niemals zu beliebt werden, das rate ich Ihnen.«
Glokta schnaubte. »Ich mache mir wirklich keine Sorgen darüber, hier zu beliebt zu werden.«
Vissbruck räusperte sich lautstark, da es ihn offensichtlich sehr wurmte, dass man ihn nicht beachtete. Er wies auf die endlosen Reihen von Männern, die über die Landenge heranrückten.
»Herr Superior, die Gurkhisen sind im Anmarsch.«
Ach, tatsächlich? Das wäre mir gar nicht aufgefallen.
»Habe ich Ihre Erlaubnis, den Graben fluten zu lassen?«
O ja, Ihr großer, ruhmreicher Augenblick.
»Natürlich.«
Vissbruck trat mit einem Ausdruck höchster Wichtigkeit an die Brustwehr. Langsam hob er den Arm, dann ließ er ihn theatralisch durch die Luft sausen. Irgendwo unter ihnen außerhalb ihrer Sichtweite knallten Peitschen, und einige Maultiergespanne stemmten sich gegen Seile. Auch oben auf dem Wall hörte man das klagende Quietschen von Holz, das unter großem Druck steht, gefolgt von Knirschen und Knacken, als die Dämme brachen, und schließlich zorniges Grollen, als sich das Meerwasser seinen Weg bahnte und von beiden Seiten wild weiß sprühend in den Graben schoss. Die Wassermassen trafen sich direkt unter ihnen und schickten schimmernde Gischt bis
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