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Feuerklingen (First Law - Band 2)

Feuerklingen (First Law - Band 2)

Titel: Feuerklingen (First Law - Band 2) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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Hand auf die Schulter. Es sollte vielleicht eine väterliche und beruhigende Geste sein, aber Jezal fühlte durch sein Hemd hindurch, wie sehr sie zitterte. Bayaz ließ sie für einen Augenblick dort ruhen, als habe er nicht die Kraft, sie zu bewegen, dann richtete er sich langsam wieder auf, streckte die Beine aus und schlurfte davon.
    Jezal sah ihm mit leerem Blick nach. Ein paar Wochen zuvor hätte er nach einem solchen Vortrag still vor sich hin gewütet. Jetzt saß er da und nahm es demütig hin. Er wusste kaum noch, wer er war. Es war schwierig, sich überlegen zu fühlen, wenn man so völlig von anderen Menschen abhängig war. Noch dazu von Menschen, von denen er bis vor kurzem eine sehr schlechte Meinung gehabt hatte. Er gab sich keinerlei Illusionen mehr hin. Hätte Ferro ihn nicht so ruppig verarztet und Neunfinger ihn nicht so tollpatschig gepflegt, wäre er inzwischen vermutlich tot.
    Der Nordmann kam zu ihm herüber, seine Stiefel knirschten auf dem Kies. Zeit, wieder in den Wagen zu steigen. Wieder quietschende Räder und ruckelnde Bewegungen. Wieder mehr Schmerzen. Jezal stieß einen langen, selbstmitleidigen Seufzer aus, unterbrach ihn aber schnell. Selbstsucht war etwas für Kinder und Dummköpfe.
    »Komm, du weißt ja, wie’s geht.« Jezal beugte sich vor, und Neunfinger schob ihm einen Arm hinter den Rücken, den anderen unter seine Knie, hob ihn über die Seitenwand des Karrens, ohne dass sein Atem auch nur die geringste Anstrengung erkennen ließ, und setzte ihn ohne viel Federlesens zwischen den Vorräten ab. Als er sich abwenden wollte, ergriff Jezal seine große, dreckige, dreifingrige Hand. Der Nordmann wandte sich um und blickte zu ihm hinunter, eine der dicken Augenbrauen fragend angehoben. Jezal schluckte. »Danke«, murmelte er.
    »Was, für das da?«
    »Für alles.«
    Neunfinger sah ihn einen langen Augenblick an, dann zuckte er die Achseln. »Nicht der Rede wert, Jezal. Wenn man andere so behandelt, wie man von ihnen selbst behandelt werden möchte, kann man nicht viel falsch machen. Hat mein Vater mir immer gesagt. Diesen Rat hatte ich lange Zeit vergessen, und ich habe Dinge getan, die ich nie wiedergutmachen kann.« Er seufzte schwer. »Aber trotzdem schadet es nichts, sich darum zu bemühen. Weißt du, was ich festgestellt habe? Letzten Endes bekommt man genau das zurück, was man selbst ausgeteilt hat.«
    Jezal blinzelte Neunfingers breitem Rücken hinterher, als der Hüne zu seinem Pferd hinüberging. Man behandelt andere so, wie man selbst behandelt werden möchte. Konnte Jezal ehrlich sagen, dass er je sehr viel für andere getan hatte? Als sich der Karren mit kreischenden Achsen in Bewegung setzte, dachte er darüber nach, zuerst noch ganz gelassen, dann aber immer besorgter.
    Er hatte die Jüngeren drangsaliert und vor den Älteren gekatzbuckelt. Oft hatte er Geld von Freunden erschwindelt, die sich solche Ausgaben nicht leisten konnten, hatte Mädchen ausgenutzt und sie dann sitzen lassen. Nie hatte er seinem Freund West für seine viele Hilfe gedankt, und er wäre ohne weiteres hinter dessen Rücken mit seiner Schwester ins Bett gegangen, wenn sie ihn gelassen hätte. Mit wachsendem Entsetzen erkannte er, dass ihm kaum eine einzige selbstlose Tat einfiel, auf die er stolz sein konnte.
    Unbehaglich rührte er sich zwischen den Futtersäcken auf dem Karren. Letzten Endes bekommt man genau das zurück, was man selbst ausgeteilt hat, und gute Manieren kosten nichts. Von jetzt an wollte er zuerst an andere denken. Er wollte jeden so behandeln, als sei er ihm gleichgestellt. Aber natürlich erst später. Es würde noch genug Zeit sein, um ein besserer Mensch zu werden, wenn er erst einmal wieder essen konnte. Mit einer Hand berührte er die Bandagen über seinem Gesicht, kratzte abwesend an ihnen und musste sich schließlich zwingen, damit aufzuhören. Bayaz ritt direkt neben dem Karren und sah über das Wasser.
    »Ihr habt es gesehen?«, fragte Jezal ihn mit leiser Stimme.
    »Was gesehen?«
    »Das hier.« Er tippte mit dem Finger auf sein Gesicht.
    »Ach das. Ja, ich habe es gesehen.«
    »Wie schlimm ist es?«
    Bayaz neigte den Kopf ein wenig. »Wisst Ihr was? Insgesamt gesehen glaube ich, mir gefällt es.«
    »Euch gefällt es?«
    »Jetzt im Moment vielleicht nicht, aber irgendwann werden die Fäden gezogen sein, die Schwellung klingt ab, die blauen Flecken verblassen, der Schorf heilt und fällt ab. Zwar vermute ich, dass Euer Kinn nie wieder dieselbe Form haben wird wie

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