Feuerklingen (First Law - Band 2)
fünf Menschen im Umkreis von hundert Meilen war er bereits bestens bekannt. Außerdem fragte er sich allmählich, ob ein langes Leben als unbekannter und armer Mann wirklich etwas so Schreckliches war.
Vielleicht sollte er, wenn er wieder zurückkehrte, tatsächlich Ardee um ihre Hand bitten. Er lenkte sich eine Weile mit der Vorstellung ab, wie sie lächeln würde, wenn er ihr den Antrag machte. Zweifelsohne würde sie ihn zappeln und auf eine Antwort warten lassen. Zweifelsohne würde er erst einmal eine Weile auf Knien betteln müssen. Zweifelsohne würde sie schließlich ja sagen. Was war dann also das Schlimmste, das passieren konnte? Dass sein Vater wütend wäre? Dass sie beide gezwungen wären, von seinem Sold zu leben? Dass seine hohlen Freunde und seine dämlichen Brüder sich hinter seinem Rücken darüber amüsieren würden, dass er so tief gesunken war? Beinahe musste er darüber lachen, dass ihm das einmal gewichtige Gründe gewesen waren.
Ein Leben in harter Arbeit mit der Frau, die er liebte, an seiner Seite? Ein gemietetes Haus in einem nicht besonders angesehenen Stadtviertel, mit billigen Möbeln, aber einem gemütlichen Feuer? Kein Ruhm, keine Macht, kein Reichtum, aber ein warmes Bett mit Ardee darin, die auf ihn wartete … Das erschien ihm überhaupt nicht mehr als ein schreckliches Schicksal, nun, da er dem Tod ins Gesicht gesehen hatte, von einer Schüssel Hafergrütze am Tag lebte und dankbar war, dass es die überhaupt gab, nun, da er allein in Wind und Regen schlief.
Sein Grinsen wurde immer breiter, und das Gefühl der neuen, empfindlichen Haut, die sich über seinem Kiefer spannte, war beinahe angenehm. Dieses Leben erschien ihm letzten Endes gar nicht mal so übel.
Die großen Mauern ragten steil empor, gekrönt von abbröckelnden Zinnen, übersät mit geborstenen Türmen, durchfurcht von schwarzen Rissen und glitschig vor Nässe. Eine Klippe aus dunklem Stein, deren entferntes Ende sich im grauen Nieselregen verlor, während sich auf der nackten Erde davor braunes Wasser in Pfützen sammelte, die von herabgestürzten Steinblöcken, groß wie Särge, durchsetzt waren.
»Aulcus«, knurrte Bayaz mit zusammengebissenen Zähnen. »Das Juwel unter den Städten.«
»Für mich sieht es nicht besonders strahlend aus«, brummte Ferro.
Für Logen auch nicht. Die rutschige Straße führte zu einem verfallenen Torbogen voller Schatten, der wie ein großer Schlund vor ihnen gähnte und dessen Tore lange schon verschwunden waren. Er hatte ein schreckliches Gefühl, als er das dunkle Tor betrachtete. Ein übles, entsetzliches. Ähnlich wie damals, als er in die offene Tür zum Haus des Schöpfers geblickt hatte. Als ob er in ein Grab hineinsähe, bei dem es sich gut möglich um sein eigenes handeln mochte. Sein einziger Gedanke war, sich umzuwenden und nie zurückzukehren. Sein Pferd wieherte leise und trat einen Schritt nach hinten; der Atem des Tieres dampfte im feinen Regen. Die vielen hundert langen und gefährlichen Meilen bis zurück zur See erschienen ihm plötzlich als eine wesentlich leichtere Reise als die wenigen Schritte bis zu diesem Tor.
»Seid Ihr ganz sicher in dieser Hinsicht?«, fragte er Bayaz gedämpft.
»Ob ich sicher bin? Nein, natürlich nicht! Ich habe uns nur aus einer Laune heraus all diese anstrengenden Wegstunden quer über die öde Ebene geführt! Ich habe jahrelang diese Reise geplant und diese kleine Gruppe aus dem ganzen Weltenrund zusammengetrommelt, aus keinem anderen Grund als zu meiner eigenen Erheiterung! Es entsteht keinerlei Schaden, wenn wir einfach wieder zurück nach Calcis schleichen. Ob ich sicher bin?« Er schüttelte den Kopf und drängte sein Pferd auf die gähnende Toröffnung zu.
Logen zuckte die Achseln. »War ja nur eine Frage.« Das Tor gähnte weiter und weiter und verschlang sie schließlich. Der Hufschlag ihrer Pferde hallte in dem langen Tunnel wider und dröhnte in der Dunkelheit. Das Gewicht der vielen Steine um sie herum lastete schwer auf ihnen und schien selbst das einfache Atmen immer stärker zu erschweren. Logen senkte den Kopf und sah angestrengt dem kleinen runden Lichtfleck am anderen Ende entgegen, der immer größer wurde, je näher sie kamen. Er wandte sich zur Seite und fing Luthars Blick ein, der sich, das nasse Haar ans Gesicht geklatscht, im Dämmerlicht nervös mit der Zunge über die Lippen fuhr.
Und dann kamen sie wieder unter freien Himmel.
»Du meine Güte«, hauchte Langfuß. »Du große Güte …«
Der
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