Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Feuerklingen (First Law - Band 2)

Feuerklingen (First Law - Band 2)

Titel: Feuerklingen (First Law - Band 2) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
Vom Netzwerk:
»Es gab eine Zeit, in der du nur zu bereit warst, mit mir zu spielen. Da hast du tagelang meine Spiele gespielt, wenn ich mich recht erinnere.«
    »Das ist lange her. Die Zeiten ändern sich.«
    Ein plötzlicher, beunruhigender Schatten des Zorns glitt über ihr Gesicht. »Die Zeiten verkommen, meinst du wohl! Aber dennoch«, ihre Stimme kehrte zu dem tiefen Flüstern zurück, »wir letzten Überlebenden des großen Ordens der Magi sollten zumindest versuchen, gesittet miteinander umzugehen. Komm denn, mein Bruder, mein Freund, mein Lieber, es gibt keinen Grund für unziemliche Hast. Der Tag neigt sich dem Ende, und es ist genug Zeit für euch alle, den Straßenstaub abzuwaschen, die stinkenden Lumpen abzulegen und sich fürs Abendessen umzukleiden. Dann können wir beim Essen reden, wie es sich für gesittete Menschen ziemt. Ich habe so selten Gäste, die ich bewirten kann.« Sie rauschte an Logen vorüber und sah den Nordmann von oben bis unten an. »Und du hast mir so raue Gäste mitgebracht.« Ihr Blick blieb an Ferro hängen. »So exotische Gäste!« Dann ließ sie einen langen Finger über Jezals Wange gleiten. »So ansehnliche Gäste!«
    Jezal erstarrte, so peinlich berührt war er, und er wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte, dass sie sich solche Freiheiten herausnahm. Von nahem betrachtet war ihr schwarzes Haar an den Wurzeln grau, also vermutlich gefärbt. Ihre glatte Haut war von Fältchen durchzogen und hatte einen leicht gelblichen Stich, war also vermutlich dick gepudert. Ihr weißes Gewand war am Saum schmutzig, und auch an einem Ärmel war ein auffälliger Fleck. Sie schien so alt zu sein, wie Bayaz aussah, oder sogar noch älter.
    Sie spähte in die Ecke, in der Quai stand, und runzelte die Stirn. »Welcher Art dieser Gast ist, bin ich mir nicht sicher … aber Ihr alle seid willkommen in der Großen Bibliothek des Westens. Willkommen …«
     
    Jezal blinzelte in den Spiegel, das Rasiermesser schlaff in der fühllosen Hand.
    Noch kurz zuvor hatte er über die Reise nachgedacht, die sich nun wohl ihrem Ende zuneigte, und sich dafür beglückwünscht, wie viel er gelernt hatte. Toleranz und Verständnis, Mut und Selbstaufgabe. Wie sehr er als Mann gereift war. Wie sehr er sich verändert hatte. Aber nun erschienen Glückwünsche nicht mehr angebracht. Der Spiegel war zwar alt und sein Bild darin dunkel und verzerrt, aber es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass sein Gesicht entstellt war.
    Das angenehme Gleichmaß seiner Züge war für immer verloren. Sein perfekter Kiefer war scharf nach links gekippt, auf einer Seite schwerer als auf der anderen, und sein edles Kinn bog sich in nachlässigem Winkel zur Seite. Die Narbe begann auf seiner Oberlippe als eine kaum sichtbare Linie, hatte aber einen tiefen Riss in die untere geschlagen, die nun ein wenig herabhing und so aussah, als ob er ständig anzüglich grinste.
    Keine seiner Bemühungen änderte daran etwas. Wenn er lächelte, wurde es noch schlimmer, dann zeigten sich die hässlichen Lücken zwischen seinen Zähnen, die eher zu einem Preisboxer oder einem Räuber passten als zu einem Offizier der Königstreuen. Das einzig Gute war, dass er auf der Heimreise vermutlich sterben und keiner seiner alten Freunde ihn je so verschandelt zu Gesicht bekommen würde. Ein wahrlich schwacher Trost.
    Eine einsame Träne rollte in die Schüssel unter seinem Gesicht.
    Dann schluckte er, holte stockend Luft und wischte sich die nasse Wange mit dem Unterarm ab. Er biss die Zähne zusammen, betrachtete Kinn und Kiefer in ihrer jetzigen Form und umklammerte fest das Rasiermesser. Der Schaden war getan, es gab kein Zurück mehr. Vielleicht war er jetzt ein hässlicherer Mensch, aber auch ein besserer, und zumindest war er, wie Logen gesagt hätte, noch am Leben. Er ließ das Messer aufblitzen und kratzte sich den stoppligen, ungleichmäßigen Bart von den Wangen, von der Stelle vor den Ohren, von seiner Kehle. Oberhalb der Lippen, am Kinn und rund um den Mund ließ er ihn stehen. Der Bart stand ihm, fand er, als er das Messer abtrocknete. Oder zumindest trug er ein wenig dazu bei, seinen Makel zu verdecken.
    Er zog die Kleider an, die man für ihn bereitgelegt hatte. Ein muffig riechendes Hemd und Hosen von einem uralten und hoffnungslos unmodernen Schnitt. Beinahe hätte er über das unansehnliche Spiegelbild gelacht, das er bot, als er zum Essen fertig war. Die sorglosen Bewohner des Agrionts hätten ihn wohl kaum wiedererkannt. Fast erkannte er sich

Weitere Kostenlose Bücher