Feuerklingen (First Law - Band 2)
sich wieder am Feuer nieder, sah den tanzenden Flammen zu, wie sie die grimmigen Gesichter der anderen zuckend in Licht tauchten. »Kennt jemand ein paar gute Geschichten?«, fragte er hoffnungsvoll.
Quai spielte mit der Zunge an seinen Zähnen. Luthar sah Logen über das Feuer hinweg verächtlich an. Ferro ließ nicht erkennen, ob sie ihn überhaupt gehört hatte. Kaum ein besonders ermutigender Anfang.
»Gar keine?« Keine Antwort. »Na schön, ich kenne ein Lied oder zwei, und vielleicht fällt mir auch noch der Text ein.« Er räusperte sich.
»Schon gut!«, unterbrach ihn Bayaz. »Wenn es uns ein Lied erspart, dann kenne ich Hunderte von Geschichten. Was hattet Ihr Euch denn zu hören erhofft? Eine Romanze? Eine Komödie? Eine Geschichte kühner Taten unter unsagbar schwierigen Umständen?«
»Von diesem Land hier«, fiel Luthar ihm ins Wort. »Vom Alten Kaiserreich. Wenn es einst eine so mächtige Nation war, wie ist es dann zu all dem gekommen?« Er deutete mit dem Kinn auf die Ruinen um sie herum und damit auch auf all das, was, wie sie wussten, dahinter lag. Die endlosen Meilen des Nichts. »Zu dieser Einöde hier.«
Bayaz seufzte. »Ich könnte wohl davon erzählen, aber wir haben einen Bürger des Alten Kaiserreichs bei uns auf unserer kleinen Reise, der noch dazu ein fleißiger Student der Geschichtsschreibung ist.« Der Zauberlehrling sah träge vom Feuer auf. »Würdet Ihr Euch die Mühe machen, uns zu erhellen? Wie geschah es, dass das Kaiserreich, einst das schillernde Zentrum der Welt, dergestalt verfiel?«
»Diese Geschichte braucht viel Zeit, wenn sie ganz erzählt werden soll«, murmelte der Lehrling. »Soll ich ganz vorn beginnen?«
»Wo sonst sollte ein Mann wohl je beginnen?«
Quai zuckte mit seinen knochigen Schultern und begann zu sprechen. »Euz der Allmächtige, Bezwinger der Dämonen, Versiegeler der Tore, Vater der Welt, hatte vier Söhne, und ihnen allen verlieh er eine besondere Gabe. Seinem ältesten, Juvens, verlieh er das Talent, die Hohen Künste zu beherrschen, die Welt mittels von Wissen gehärteter Magie zu verändern. Seinem zweiten Sohn, Kanedias, verlieh er das Talent, Dinge zu erschaffen und Stein und Metall zu seinen eigenen Zwecken zu formen. Seinem dritten Sohn, Bedesch, gab Euz die Fähigkeit, mit den Geistern zu sprechen und sie ihm dienstbar zu machen.« Quai gähnte mit weit aufgerissenem Mund, gab ein schmatzendes Geräusch von sich und blinzelte ins Feuer. »Und so wurden die drei reinen Gebiete der Magie geboren.«
»Ich dachte, er hätte vier Söhne gehabt«, maulte Luthar.
Quais Blick wich zur Seite aus. »So war es auch, und darin lag die Wurzel der Zerstörung des Kaiserreichs. Glustrod war der jüngste Sohn. Er hätte die Gabe erhalten sollen, mit der Anderen Seite zu sprechen, die Geheimnisse zu erfahren, wie man die Teufel aus der Unterwelt heraufbeschwor und sie an den eigenen Willen band. Aber solche Dinge waren nach dem Ersten Gebot nicht mehr erlaubt, und so gab Euz seinem jüngsten Sohn nichts weiter als seinen Segen, und wir alle wissen, wie viel so etwas wert ist. Die anderen drei lehrte er, ihre Geheimnisse zu teilen, und dann verließ er sie, nachdem er seinen Söhnen aufgetragen hatte, Ordnung in die Welt zu bringen.«
»Ordnung.« Luthar warf seinen Teller neben sich ins Gras und sah abfällig auf die schattenumlagerten Ruinen. »Damit sind sie ja nicht weit gekommen.«
»Zuerst schon. Juvens machte sich mit sehr viel Willenskraft an seine Aufgabe und setzte all seine Macht und seine Weisheit dafür ein. Er fand ein Volk, das ihm gefiel, das an den Ufern des Aos lebte, und er brachte ihnen Gesetze und Wissen, eine Regierung und Forschergeist. Er verlieh ihnen das Geschick, ihre Nachbarländer zu erobern, und erhob ihren Häuptling zum Kaiser. Sohn folgte auf Vater. Jahr auf Jahr, und die Nation wuchs und gedieh. Die Grenzen des Kaiserreichs reichten ganz bis nach Isparda im Süden, Anconus im Norden, bis zu den Ufern des Meeresrunds im Osten und weit darüber hinaus. Ein Kaiser folgte auf den nächsten, aber Juvens war stets an ihrer Seite – er führte sie, beriet sie und fügte alles nach seinem großen Plan. Alles war gesittet und friedlich, alle waren zufrieden.«
»Fast alle«, brummte Bayaz und stocherte mit einem Stock im Funken sprühenden Feuer herum.
Quai lächelte dünn. »Wir haben Glustrod vergessen, wie es schon sein Vater getan hatte. Den missachteten Sohn. Den verstoßenen Sohn. Den betrogenen Sohn. Er bat alle drei
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