Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
und tötete dabei
einhundertachtundsechzig Menschen.«
Alle
verstummen und schauen entsetzt auf den BND-Mann.
*
»Zuhören, zuhören und nochmals zuhören!« Diese Worte wurden ihm einmal
als eine der wichtigsten Grundregeln eingebläut. »Bringen Sie Ihre Zielperson
zum Reden«, predigte sein Ausbilder, »nur so bekommen Sie raus, unter welchen
Bedingungen Ihr Gegenüber bereit ist, ein Geheimnis preiszugeben, das er eigentlich
nie verraten wollte!«
Bretzler
sitzt mit verquollenen Augen hinter dem Steuer des Mercedes und beißt in ein
Stück lauwarme Pizza. Er denkt an seine Zeit in Oberammergau, wo er in einer
Nato-Schule zum deutschen Spion ausgebildet wurde, der nicht bei der ersten
Gelegenheit als deutscher Beamter enttarnt werden würde. Da standen Tanz- und
Benimmkurse auf dem Lehrplan oder »Wie esse ich richtig Austern?«. Während er
auf dem zähen Teig zwischen seinen Zähnen herumkaut, sieht er seinen Lehrer für
psychologische Schulung im Geiste vor sich.
»Bretzler,
Sie müssen schlicht die Eitelkeit der Menschen ausnutzen! Seien Sie emphatisch,
schmeicheln Sie, strahlen Sie Geborgenheit aus und dann, im richtigen Moment,
provozieren Sie ihre Zielperson. Reden Sie ihr ein, dass sie völlig
unterschätzt wird. Geben Sie ihr das Gefühl, dass sie der eigentliche Chef sein
müsse. Lassen Sie sie glauben, ihr wahrer Wert werde von ihrer Umgebung nicht
erkannt. Nur wer Erfolg bei dieser Art des Abquatschens hat, wird zu
einem Top-Mann in unserer operativen Abteilung.«
Abquatschen war sein Wort, nicht aushorchen, erinnert sich
Bretzler. Am Ende sollte er das Erlernte im sogenannten Härtetest sofort in der
Praxis erproben. Er wurde in ein Restaurant geschickt, musste sich zu einem
Wildfremden an den Tisch setzen und möglichst viele Daten aus seinem
Privatleben aus ihm herausholen.
Kurz
nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion konnte er dieses Wissen auch wunderbar
anwenden. Über ein Jahr waren er und sein Kumpel Reisch Anfang 1993 in Neubrandenburg
unterwegs gewesen, hatten die Bundesvermögensämter abgegrast und Tipps
gesammelt, wie sie an deutschsprachige Russen herankommen könnten. Ihre Methode
war einfach und perfekt. Sie köderten die Zielpersonen mit einer glaubwürdigen
Legende. Meistens traten sie als Mitarbeiter einer Investorengruppe auf, die
geeignete Grundstücke für neue Golfplätze suchte. Schon im ersten Gespräch
checkten sie ab, ob die ausgewählte Person geeignet war. Für Russen war
jeglicher Kontakt zu Unbekannten, besonders aus dem Westen, streng verboten.
Fast alle von ihnen wollten Autos, Möbel und Haushaltsgeräte. Wer sich auf ein
Treffen mit ihnen einließ, hatte schon so gut wie verloren. Es lief wie am
Schnürchen. Die Nächte waren meistens dazu da, unzählige russische Geheimdokumente
zu fotografieren, die morgens wieder in ihren angestammten Panzerschränken
liegen mussten. Der größte Clou: Originalteile des Kampfpanzers T-72 .
Leider
ist die Pionierzeit im wilden Osten schon lange passé, denkt Bretzler. Heute
können wir mit dieser Erfahrung kaum noch was anfangen. Der 11. September hat
die gesamte Welt auf den Kopf gestellt. Jetzt dürfen wir verstärkt diese
ausländischen Extremisten observieren, die Deutschland als Operationsbasis und
Ruheraum benutzen.
In
einem BND-Lehrgang hatte man ihn vor kurzem über die kulturellen Besonderheiten
für diesen neuen Einsatz in der arabischen Welt aufgeklärt. Man brachte ihm
bei, beim Essen nicht die linke Hand zu benutzen, weil sie unter Muslimen als
unrein gilt. Auch sollte er niemals im Schneidersitz seinem Gegenüber die
Fußsohlen zuwenden. Ziemlich albern, fand er damals.
Bretzler
öffnet die Wagentür, steigt aus und geht in Trippelschritten über den
schmutzigen Boden einmal um den Wagen. Gleich nebenan beginnt das
Bahnhofsgelände. Ein ICE verlässt gerade den Hauptbahnhof und gleitet durch den
Wirrwarr der Schienenstränge davon. Bretzler sieht, wie sein Partner Reisch mit
zwei Pappbechern Kaffee die Marthastraße herunterkommt und auf ihn zustapft. Er
geht ihm entgegen.
»Eine
lausige Ecke hier!«, beklagt er sich. Reisch reicht ihm einen Becher. Er hebt
den Deckel ab, nimmt einen Schluck und verzieht sein Gesicht. Der Kaffee ist
bereits lauwarm. Aus einem abbruchreifen Gebäude gegenüber klingt
Hip-Hop-Gesang der Fantastischen Vier aus einem offenen Fenster. Daneben
ein maroder Hinterhof mit zwei Reihen Garagen. Vor der Ausfahrt stehen zwei
Betonkübel mit vertrockneten
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