Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Hunde rissen Fleischstücke aus Menschenleibern, ein
unerträglicher Gestank breitete sich aus.
    Er
sah sich selbst, wie er verlangsamt durch einen Nebel ging und willenlos um
sich schoss, immer und immer wieder im gleichen Ablauf. Ein Schuss in den Kopf,
ein Schuss in die Brust und ein Schuss in die Hoden. Zwei Tage lang hatte
dieser Blutrausch angedauert, den Mullah Omar ihnen ausdrücklich erlaubt hatte.
Danach herrschte übernatürliche Ruhe.
     
    In diesem Land werden wir den ersten Gottesstaat errichten, dachte Mur a d und blickte auf die fünf Seen. Von hier aus wird die
islamische Revolution um die Welt getragen werden.
    Er
ahnte, dass bald etwas Gewaltiges passieren würde, hob einen flachen Stein, der
vor seinen Füßen im Schnee blitzte, auf und drehte ihn beiläufig in seiner
Hand. Eine Unebenheit machte ihn stutzig. Im Stein steckte eine versteinerte
Herzmuschel. Ihm wurde klar, dass dieser Ort, auf dem er hier stand, einmal der
Meeresboden gewesen sein musste.
    Am
Anfang der Zeit, als Allah die Welt erschaffen hat, schoss es ihm durch den
Kopf.
    Er
steckte den Stein in die Hosentasche, ging zum Jeep, setzte sich auf den
Beifahrersitz und gab das Zeichen zur Abfahrt. In zwanzig Minuten hatten sie
den Lastwagen wieder eingeholt. Knapp zwei Stunden dauerte die Fahrt über die
Schotterpiste noch, bis sie das Ziel Bamian erreichten. Die Stadt lag vor den
Sandsteinfelsen des Hindukusch. Ein Wachposten mit schmutzigem Turban und
ausgefranstem Vollbart trat aus einer Gruppe heraus und stellte sich dem Jeep
am Ortseingang in den Weg.
    »Seid
ihr die Gruppe aus Herat?«, schnauzte die finstere Gestalt den Fahrer an und
zielte mit der Kalaschnikow im Anschlag auf seine Brust.
    »Ich
bin der Kommandant!«, wies er den Mann mit scharfer Stimme zurecht. »Bring mich
und meine Männer zu diesen Götzenstatuen! Mullah Ghazani erwartet uns!«
    Der
Wachposten schlug erschrocken die Hand an die Stirn, murmelte unverständliche
Worte und machte eine flüchtige Verbeugung. Er sprang auf das Trittbrett des
Jeeps. Mit der rechten Hand klammerte er sich an die Wagentür und zeigte mit
dem Gewehr in die einzige Richtung, die möglich war. Es gab nur eine mit
Schlaglöchern übersäte Hauptstraße, die durch den Ort führte. Links und rechts
von ihr zog sich der Basar entlang. Es herrschte ein reges Leben in den kleinen
Läden der Händler und Handwerker. Der rhythmische Klang von Hammerschlägen auf
Metall übertönte ihre eigenen Motorengeräusche. Überall glimmten kleine
Holzkohlegrills, und es roch nach gebratenem Kebab. Vor einer Werkstatt fertigten
Jugendliche unförmige Sandalen aus alten Autoreifen. Der LKW kam auf der
schmalen Straße nur mühsam vorwärts. Geschickt musste er um die vielen Esel-
und Pferdekarren manövriert werden. Drei Minuten später bog sein Jeep an einem
Gewürzladen links auf einen Platz ab, der von schwer bewaffneten Taliban
bevölkert wurde. Der LKW folgte. Unzählige Zelte standen vor der riesigen
Buddhastatue, die hier vor über zweitausend Jahren aus der Felswand gehauen
worden war. Der Kommandant schätzte die Figur auf über fünfzig Meter.
    Vor
drei Jahren, gleich nach der Eroberung von Bamian, hatten die Taliban schon
einmal versucht, den Steinkoloss zu sprengen. Das gemeißelte Faltengewand wies
deutliche Beschädigungen von Raketeneinschlägen auf.
    Mur a d ließ den Jeep in der Mitte des Platzes stoppen. Der
LKW hielt direkt daneben. Von überall her liefen Männer zusammen und schossen
wild in die Luft. Einige stürmten zum LKW und begannen damit, die Plane zu
öffnen.
    »Bei Dschabrail (Gabriel)! Halt!«, brüllte er die Männer an. »Der Wagen ist voll Sprengstoff!
Ich werde die Kisten persönlich an Mullah Ghazani übergeben!«
    Die
Gruppe wich zurück und bildete gleich darauf eine Gasse.
    »As-Salam
’alaikum!«, hörte er eine Stimme aus dem Gewühl. Ein kleiner, rüstiger Mann in
einem grünen Gewand schritt mit federndem Gang durch die Menschen hindurch.
Sein silbergrauer Vollbart folgte der Linie der Backenknochen, und der grüne
Seidenturban glänzte. Vier Männer, die Kalaschnikows im Anschlag, folgten ihm
dicht auf den Fersen. Er grüßte Mur a d mit
erhobener Hand.
    »Mullah
Omar hat euch angekündigt. War eure Reise erfolgreich?«
    »Mit
Allahs Güte«, erwiderte der Kommandant, der den Mullah fast um einen Kopf
überragte. »Wir haben mehrere Kisten mit HMX dabei. Die Sprengkraft
reicht aus, um den gesamten Berg verschwinden zu lassen. Al-Zarqawis Einheit in
Herat hat