Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
eine Schlange unter
der Haut. Er weiß, mit dem Blitz kam das Böse zu ihm. Er ist es nicht wieder
losgeworden. Auch in diesem Moment sieht er dieses versteinerte Gesicht vor
seinem inneren Auge, kantig und unbarmherzig. Er kann die grau melierten Haare
und den gepflegten Schnurrbart erkennen. Der Soldat trägt keine Uniform und ist
deutlich gealtert. Nur das Feuermal ist noch genauso wie er es kennt und brennt
rot unter dem rechten Auge. Seit siebenundzwanzig Jahren sieht er diesen Mann
fast jede Nacht bewegungslos in seinen Träumen stehen. Jetzt bewegt sich der
Stein in seinem Kopf, ist lebende Realität, will seinem Trauma entkommen, fegt
davon, außerhalb jeglicher Kontrolle, frei und selbstbestimmt. Er gibt ihm
keine Zeit mehr, auch nur einen Moment daran zu zweifeln. Einen Augenblick
zuvor, hätte er sein Leben darauf verwettet, dass dieser Dämon ihm nie im Leben
über den Weg laufen könnte. Jetzt ist das Unwahrscheinliche kein Traum mehr. Er
sieht es im Wachzustand vor sich.
Es
dämmert schon. Wie aus dem Jenseits kommt der Dämon die Stufen vom neuen
Internet-Café herunter und tritt ihm direkt vor die Füße. Für eine
Zehntelsekunde schreckt er zusammen. Dieser leibhaftige Albtraum muss es
trotzdem wahrgenommen haben und mustert ihn kurz. Sein Gesichtsausdruck lässt
erkennen, dass er ihn einzuordnen versucht. Er scheint aber keine Erinnerung zu
finden. Mit einem gemurmelten ›sorry‹ eilt er mit ausladenden Schritten die
Neustadt in Richtung Innenstadt hinunter.
Er
bleibt dem Dämon auf den Fersen. Elektrisiert. Wie von selbst funktionieren
seine Muskeln. Schritt für Schritt. Vor ihm der breite Rücken. Das Böse bewegt
sich, es lebt. Er starrt auf den Stoff der Jacke, auf den Hinterkopf. Das
Gesicht hat sich abgewendet, bleibt seinem Blick verwehrt. Er muss es wieder
aus der Erinnerung an seine Träume wachrufen.
Hast
du dir das jetzt nur eingebildet, frisst sich ein Zweifel in ihm fest. Aber die
Gewissheit ist stärker, behält die Oberhand. Das ist der Dämon aus deinem
Traum! Du weißt es genau!
Er
verfolgt den Mann in sicherem Abstand. Die mittelgroße Gestalt blickt plötzlich
misstrauisch zurück und biegt mit beschleunigtem Schritt nach rechts in die
Hafenstraße. Aus Panik, er könnte den Dämon verlieren, läuft er den Rest bis
zum Souvenirladen Ecke Schiffsbrücke/Hafenstraße, stoppt, peilt dem Verfolgten
vorsichtig um die Hauswand hinterher. Da ist das Böse wieder in Sicht. Es geht
über die Brücke in der Mitte des Binnenhafens und verschwindet in einem kleinen
Fußgängertunnel, der durch ein Wohnhaus führt. Wieder ist der Dämon
verschwunden. Er rennt ihm hinterher. Seine Schritte werden schneller. Hinter
dem Tunnel sieht er ihn zwanzig Meter vor sich auf das Hafenparkhaus zugehen,
sieht den Rücken, wie er am gelben Schlagbaum vorbei im Dunkel des Parkdecks
verschwindet.
Eine
Angst packt ihn, die Angst, der Dämon könnte ihm doch noch entfliehen. Er malt
sich aus, wie sein Albtraum in einem Auto an ihm vorbeifährt, sich ihm nochmal
als ein kurzer Spott des Schicksals zeigt, kurz darauf schon vorbei ist, weg
aus seinem Leben, für immer, endgültig.
Er
fingert im Gehen sein Handy aus der Hosentasche, bleibt kurz stehen und drückt
sechs Zahlen auf der Tastatur. Mit dem Apparat am Ohr geht er weiter.
Ungeduldig hört er das wiederkehrende Freizeichen. Nach dem sechsten Klingeln
meldet sich eine Stimme am anderen Ende der Leitung.
»Georgios,
bist du es?« Er krächzt vor Aufregung.
»Was
ist mit dein Stimme?«
»Frag
nicht lange! Komm mit dem Auto ins Hafenparkhaus an der Gaswerkstraße, sofort!
Ich warte drinnen auf dich!«
»Was
los?«
»Keine
Zeit alles zu erklären! Der Mörder aus Zypern ist hier, der Mörder deiner
Schwester! Komm sofort her! Er darf uns nicht entkommen!«
Er
rennt über das Parkdeck, sieht gerade noch, wie der Dämon in den Treppenaufgang
zu den oberen Parkdecks geht. Als er den Eingang erreicht, hört er über sich
eine Eisentür klappen. Erstes Parkdeck. Er stürmt die Betontreppe hinauf,
öffnet die schwere Tür und lässt sie vorsichtig wieder ins Schloss klicken. Der
Mörder steht an einem silbermetallicfarbenen Toyota, keine fünf Meter von ihm
entfernt. Neben ihm hängt ein Feuerlöscher an der Wand. Er zögert kurz. Doch
sein Entschluss ist endgültig. Mit einem Ruck reißt er den roten Metallzylinder
aus der Halterung und stürzt nach vorn. Das Geräusch lässt den Dämon
herumfahren. Der Feuerlöscher trifft mit einem dumpfen Schlag
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