Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
Colditz!
Echt cool, der Name. Und diese netten Grübchen und überhaupt. Übrigens, er soll
eine französische Mutter haben!«
Nur
bei Silvia kann er anscheinend nicht punkten, denkt er. Warum eigentlich diese
Schadenfreude, Swensen? Willst du damit ein verkapptes Konkurrenzgefühl
kaschieren?
*
»Die heutige Welt ist ein unübersichtliches Durcheinander geworden. Die
Menschen sind verwirrt. Es fehlt ihnen an Gleichmut und Würde«, klagt der Imam
in präzisem Englisch, ohne jemanden anzuschauen. Swensen taxiert den älteren
Mann unauffällig von der Seite. Er hat leuchtend braune Augen und einen
gestutzten, weißen Bart, auf dem länglichen Gesicht sitzt ein weißer Turban.
Auf einem kleinen, runden Tisch vor ihnen, der mit filigraner Perlmutteinlegearbeit
verziert ist, stehen drei Schalen mit süßem Çay. Neben dem Kommissar sitzt ein
sichtlich gelangweilter Dolmetscher. Colditz hatte den jungen Deutsch-Türken
extra aus Flensburg kommen lassen, um die Ermittlungen im Umkreis der Türken zügiger
voranzutreiben. Hier wird er nicht gebraucht, der Imam spricht kein t ürkisch, der Dolmetscher kein e nglisch.
»Es
ist allein der Islam, der die Menschen zu wirklichen Menschen macht!«, ereifert
sich der Muslim im Tonfall der Überzeugung, zieht wie beiläufig eine
Gebetsschnur aus seiner Weste, die er über dem knöchellangen Baumwollgewand
trägt, und beginnt murmelnd die Perlen mit dem Daumen über den Zeigefinger zu
schieben. Mit einem kurzen Klick schlägt die Perle auf der unteren auf. Klick –
Klick – Klick.
Swensen
steht der Schweiß auf der Stirn. Er ist mehr als unglücklich über den
bisherigen Verlauf des Gesprächs.
Klick
– Klick – Klick.
Draußen
herrschen über fünfundzwanzig Grad, obwohl es erst neun Uhr ist. In dem
winzigen Raum steht die aufgeheizte Luft.
Bei
der Befragung am Morgen hatte der junge Türke, der am Abend dabei gewesen war,
als die Hand in ihren Treffpunkt geworfen wurde, die Adresse des pakistanischen
Imam Abdul Razak preisgegeben. Er versicherte dem Kriminalisten, dass der
heilige Mann bei allen Gläubigen in Husum große Achtung besäße.
Bei
Swensen sind die ehrfürchtigen Gefühle vor dem Prediger bis jetzt ausgeblieben,
denn er verweigert sich resistent dem noch so kleinsten Verhörversuch.
»Was
können Sie mir über die Menschen sagen, die mit ihrem Glauben zu Ihnen kommen,
Imam Razak? Gibt es unter ihnen Hitzköpfe? Sind Ihnen welche aufgefallen?«
»Ein
gläubiger Muslim ist kein Hitzkopf. Für einen Muslim ist seine Religion keine
Sache des persönlichen Gewissens und schon gar nicht eine private Übung.«
Swensen
fragt sich, ob sein Englisch so schlecht geworden ist, oder ob der Imam ihn
bewusst abblockt. Er holt Luft und will gerade zu der Wiederholung seiner Frage
ansetzen, als sich die buschigen, grauen Augenbrauen des Imam zusammenziehen.
Sein Blick fixiert den Kommissar mit gelangweilter Überlegenheit.
»Ich
habe Ihre Frage verstanden! Aber ich finde, Sie müssen erst mehr über den Islam
wissen, bevor Sie die richtigen Fragen stellen können.«
Klick-Klick-Klick.
»Im
Koran wird den Muslimen die tiefe Erfahrung des heiligen Propheten offenbart.
Aus der individuellen Erfahrung mit Allah wurde unsere Gesellschaftsordnung
geboren. Deshalb steht sie in einem untrennbaren Zusammenhang mit dem Islam,
aus dem sie hervorgegangen ist. Alle Freiheit des Menschen entspringt nur aus
dem Gehorsam, dem Koran zu folgen. Es sind die Gebote aus dem heiligen Buch,
die den Gläubigen wirklich frei machen.«
Klingt
nach Mittelalter, denkt Swensen. Als wenn nur der Islam in der Lage ist, die
absolute Grenze der Welt abzustecken. Er versucht, innerlich gelassen zu
bleiben. Seit er sich in seinem Leben buddhistisch orientiert, hatte noch
niemand, außer Anna, mit ihm über Glaubensansichten gesprochen.
»Gilt
das auch für eine Bluttat?«, fragt Swensen.
»Eine
Bluttat?« Der Imam schließt demonstrativ die Augen.
Klick-Klick.
»Ja,
eine abgeschlagene Hand wurde gefunden«, antwortet der Kommissar und denkt, du
weißt doch schon lange Bescheid, mein Lieber.
»Einem
Dieb und einer Diebin haut man die Hände ab, zur Strafe für das, was sie begangen
haben.«
»Ich
versteh nicht!«
»Worte
des Korans. Eine abgeschlagene Hand bedeutet Diebstahl.«
»In
der Bibel steht Auge um Auge ! Aber das …«
»…
das sagt der Koran ebenfalls. In der fünften Sure heißt es Leben für Leben
und Aug um Aug .«
»Sie
meinen, die abgeschlagene Hand könnte Rache
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