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Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Titel: Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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so massiv in seinem Gedächtnis festgesetzt hatte. Er schleppte sich
gerade mit schweren Beinen auf die Ortschaft Neon Khorion zu. Eine beklemmende
Ruhe lag über dem verwüsteten Schlachtfeld der vergangenen Nacht. Totenstille.
Kein Vogelgezwitscher war zu hören. Kein Zikadengesang lag in der Luft. Er
fühlte sich ausgelaugt, innerlich gestorben. Er ertastete die Haut seines
Gesichts und konnte nichts Lebendiges mehr spüren. Sein Denken schien außerhalb
seines Körpers stattzufinden.
    ›Nur
weg von hier! Weg von diesen verdammten Verrätern!‹
    Der
Weg führte ihn an zerfetzten Körpern vorbei, die in versickerten Blutlachen
lagen. Scharen von Fliegen hielten ihr Festmahl. Neben einer verkohlten Leiche,
die in der Morgensonne dampfte, lag eines der Flugblätter, die von den Türken
am gestrigen Abend, kurz vor Beginn des Angriffs, abgeworfen worden waren. Er
hatte den Inhalt gestern gelesen, während er in der Ferne schon das Rasseln der
Panzerketten gehört hatte, die auf der strategisch wichtigen Straße von Kyrenia
nach Nikosia auf ihn zu gerollt waren.
    »Wir
wollen euch helfen, nicht verletzen! Wir kommen aus Liebe, nicht aus Hass! Wir
sind nicht da, um gegen euch zu kämpfen, sondern um euch von eurer schweren
Bürde zu befreien!«
    Zynische
Bande, hatte er noch gedacht, als neben ihm die Hölle losgebrochen war. Während
der ganzen Nacht hatte er das Pfeifen der Granaten gehört, hatte gesehen, wie
die Explosionen die Landschaft ununterbrochen in gleißendes Licht tauchten.
Neben ihm hatte die Druckwelle eines Feuerblitzes mehrere Männer durch die Luft
geschleudert. Hingeschmettert, mit verrenkten Gliedern lagen sie auf dem Boden,
versuchten mit den Händen ihre Wunden abzudichten und jammerten still vor sich
hin. Er war weitergerobbt, hatte den Anblick nicht ertragen können.
Schweißüberströmt hatte er hinter seinem Maschinengewehr geklebt. Während er
wahllos ins Dunkel gefeuert hatte, erschien immer wieder der Name ›Jesus
Christus‹ in seinem Gedanken. Ein stummer Aufschrei, der in den ratternden
Salven seiner Waffe untergegangen war.
    Am
Sonntagmorgen gegen zwei Uhr war der Schlachtenlärm langsam abgeebt. Er hatte
deutlich gespürt, dass die türkische Verteidigung zu wanken begonnen hatte.
Trotz der eingekehrten Ruhe hatte das Adrenalin ihn weiterhin in Anspannung
gehalten. Er hatte seinen Blick zum Himmel gerichtet und sein Schicksal und die
elenden Türken verflucht. Als er plötzlich einen Sternschnuppenstreifen über
den Himmel rasen sah, waren seine Hassgefühle für einen Moment verschwunden.
    Ihm
waren die turbulenten Zeiten vor der türkischen Invasion wieder eingefallen,
die paradoxen Szenen, die sich damals abgespielt hatten, während er schon als
Rekrut bei der Nationalgarde diente. Die Verbitterung darüber war in seiner
Erinnerung festgebrannt. Als Mitglied einer Infanterieeinheit hatte er mit
zwanzig Mann ein Versorgungsdepot gestürmt. Dort waren sie nur auf veraltete
Gewehre für die Vogeljagd gestoßen. Die gesamte Munition, die sie finden
konnten, war Schrott. Es stellte sich heraus, dass ihre Entdeckung kein
Einzelfall war. Auf ganz Zypern hatte es überall an den einfachsten Waffen
gefehlt. Und das, obwohl vor kurzem noch genügend automatische Waffen da
gewesen waren, mit denen die von Griechen kommandierten Truppen geputscht
hatten. Jetzt würden sie bald mit leeren Händen einer schlagkräftigen
Militärmacht gegenüberstehen. Noch viel schlimmer waren aber die Übergriffe der
eigenen Landsleute gewesen. Er selbst hatte mit ansehen müssen, wie man beim
Antreten Kameraden aus der Reihe gerufen und sie ohne ein Wort erschossen
hatte. Da war ihm bewusst geworden, dass die griechischen Zyprioten ihre Brüder
vom Festland genauso fürchten mussten, wie ihre türkischen Nachbarn. Bei ihm
war ein unbeschreiblicher Hass auf die Junta in Athen geblieben, die ihr
mörderisches Possenspiel sogar noch in dem Moment weiter betrieben hatte, als
der Feind schon mit voller Wucht über die Insel hereingebrochen war.
Nachrichten aus Griechenland hatten am gestrigen Tag noch beschwichtigt, dass
bei Kyrenia keine Invasion, sondern ein harmloses Manöver der türkischen Marine
stattgefunden hätte.
    Drei
Staatsmächte garantieren das unabhängige Zypern, hatte Georgios gedacht. Seine
Wut hatte sich in seinen Fingern gesammelt und sie zu einer Faust geschlossen.
Ihr seid Heuchler, alle miteinander! Besonders du, heimtückisches Griechenland.
Du hast unsere rechtmäßige Regierung in einen

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