Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
zu lassen. Doch kaum hat er
die Augen geschlossen, beginnt das übliche Gebrabbel der Gedanken. Er versucht,
sich in der Magengegend zu zentrieren, die Ablenkungen als Teil dessen
wahrzunehmen, was ist. Teil des unentwegt ablaufenden Geschehens der inneren
und äußeren Welt. Vergeblich, seine Gedanken haben ein Gespräch wachgerufen,
das er, einen Tag, bevor er den Tempel verlassen wollte, mit Meister Rinpoche
geführt hatte. Er wollte damals wissen, ob die zukünftige Arbeit als Polizist
seinen spirituellen Weg automatisch beenden würde, oder ob er mit ihr auch den Erwerb
von Verdiensten im Sinne des Mah a y a na -Buddhismus
erreichen könnte.
»Jedes
Handeln zum Wohle aller Lebewesen bedarf keiner Belohnung«, hatte der Meister
geantwortet. »Es gibt viele Menschen, die täglich Gutes tun. Sie spenden viel
Geld unter den Augen der Öffentlichkeit. Nur ist es nicht immer das Leid der
anderen, was sie wirklich anrührt, sondern ihre eigene Geltungssucht. Wer
Mitgefühl zeigt, muss vorher Einsicht und Verstehen entwickeln. Echtes
Mitgefühl will niemand in Abhängigkeit bringen. Mit seinen Taten sollte man
nicht die Welt beherrschen wollen.«
»Aber
es gibt Menschen, die Lust am Töten haben«, hört er seine eigene Stimme.
»Wer
leichtfertig Not über andere Lebewesen bringt, erschafft durch sein eigenes
Handeln eine Neigung zur Grausamkeit, die irgendwann auf ihn zurückfallen wird.
Jede niederträchtige Tat führt am Ende zur Erniedrigung des Täters selbst.«
Swensen
spürt, wie präsent die Worte seines Meisters noch immer sind. Gleichzeitig
wiederholt sich ein Unbehagen. Damals hatte er ihm sofort widersprochen.
»Unser
schlechtes Handeln fällt auf uns zurück? Das würde ja bedeuten, dass wir immer
selbst Schuld sind, wenn wir Hunger leiden oder von jemand getötet werden!
Alles ist das Ergebnis unserer früheren Handlungen und bleibt daher unser
Karma!«
»Nein!
Das wäre nur möglich, wenn es etwas wie ein persönliches Individuum wirklich
gäbe, das etwas erwerben oder besitzen könnte. Aber gerade das hat der Buddha
immer verneint. Es gibt kein absolutes ICH und somit auch kein uneingeschränktes
Karma. Die karmischen Auswirkungen aller Lebewesen überschneiden sich im Guten
wie im Schlechten. Deswegen ist nicht die Handlung selbst von großer Bedeutung,
sondern die innere Einstellung und Haltung.«
Swensen
öffnet verwirrt die Augen. Er räumt das Kissen zur Seite, bläst die Teelichter
aus und muss erkennen, dass er seinen Meditationsversuch als gescheitert
einstufen darf. Unruhig geht er durch die Wohnung, weiß nichts mit sich
anzufangen und wirft sich schließlich aufs Sofa. Nach einer Woche TV-Abstinenz
verspürt er plötzlich den Drang, den Fernseher einzuschalten.
»We
are at war!«
Auf
dem Schirm laufen die Nachrichtenbilder von der gestrigen Rede des
amerikanischen Präsidenten im Kongress. Mit geballter Faust und stets
angestrengt zusammengepressten Lippen wirkt der Mann im Kasten wie das Abbild
von Sheriff John T. Chance aus dem Film Rio Bravo . Aber die Realität ist
noch besser als John Wayne, schießt es dem Kommissar durch den Kopf und er
fragt sich, warum Bush nie wie Reagan vorher Schauspieler gewesen ist.
»Verhandlungen
mit dem Gegner wird es nicht geben«, übersetzt eine weibliche Stimme. »Die
Taliban müssen die Terroristen umgehend ausliefern oder sie werden ihr
Schicksal teilen.«
Im
Bild erscheint eine Reporterin, das Weiße Haus im Rücken: »Die Reaktion aus
Afghanistan kam schon heute. Die Taliban drohten der USA mit einem Heiligen
Krieg. 300.000 Gotteskrieger stünden für den Kampf bereit.«
Mit
einem Klick auf die Fernbedienung bringt Swensen das Gerät zum Schweigen. Das
ist nicht gerade das, was ich im Moment gebrauchen kann, denkt er und lässt die
beiden letzten Tage im Geiste Revue passieren.
Sie
waren randvoll mit Arbeit gewesen. Am Donnerstagmorgen waren weitere acht
Männer aus Flensburg angereist, um die Soko ›Hand‹ zu verstärken. Das Team um
Hauptkommissar Colditz hatte in kürzester Zeit über siebenundvierzig Hinweisen
aus der Bevölkerung nachzugehen. Mehrere Einwohner der Westerende waren sehr
sicher, am gleichen Abend, als die Hand in das türkische Kulturzentrum geworfen
wurde, eine Gruppe verdächtiger Jugendlicher in der Straße gesehen zu haben.
Nur gaben alle eine andere Uhrzeit für ihre Beobachtungen an. Ein Mann meinte,
dass »die alle schrecklich rumbrüllten und ziemlich betrunken wirkten«. Ein
anderer hatte wiederum nur zwei
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