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Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Titel: Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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kann er
den spitzen Kopf des Vogels ausmachen. Er drückt sich seitlich ins Gebüsch,
geht langsam in die Knie und verharrt regungslos. Im selben Moment fliegt der
Vogel über seinen Kopf ins Moor. Er kann deutlich seine weiße Unterseite und
seinen schmalen, leicht zugespitzten Schwanz erkennen. Als Hagedorn den Kopf
wieder senkt, fällt sein Blick auf einen verdreckten schwarzen Stiefel, der
zwischen dem Schilfgras hervorlugt. Die Leute müssen doch überall ihren Mist
hinschmeißen, denkt er, beugt sich vorsichtig nach vorn und streckt seine Hand
aus. Er packt den Stiefel mit den Fingern an der Hacke. Doch trotz aller Mühe lässt
der sich nicht herausziehen. Hagedorn nimmt seine andere Hand zur Hilfe. Jetzt
gelingt es ihm, den Stiefel auf die Seite zu drehen. Versteinert starrt er auf
das, was da zum Vorschein kommt. Im Stiefel steckt eine braune Socke und darin
ein menschliches Bein. Er sieht das schmutzige Hosenbein einer Jeans. Ein enger
Ring legt sich um seine Brust, stranguliert sein Herz. Der Schmerz scheint ihn
zu erdrücken, brennt hinab bis in den linken Arm. Er muss den Schuh loslassen.
Das Bein gleitet langsam zurück ins Moorwasser. Er beißt sich auf die Zähne.
Kalter Schweiß steht ihm auf der Stirn. Seine linke Hand greift sich an die
Brust. Todesangst springt ihn an. Er versucht, sich aufzurichten. Leicht
torkelnd erreicht er den Holzsteg. Die Brustschmerzen sind unerträglich.
    Nicht
stehen bleiben, denkt er, nur vorwärts, sonst bin ich erledigt. Etwas in ihm
wehrt sich gegen den Tod. Sein Körper funktioniert noch. Mit eisernem Willen
setzt er Schritt vor Schritt, erreicht den Aussichtsturm, das Sonnenblumenfeld,
das Eisentor. Noch fünfzig Meter bis zum Bauernhof. Mit letzter Kraft quält er
sich hinüber. Plötzlich fühlt er eine tiefe Einsamkeit.
     
    1974: Invasion der türkischen Armee auf Zypern
    1987: Mudschaheddin-Kämpfer gegen die russische Armee
    1995:
Konflikt - Türkische Armee und kurdische Minderheit
     
    Dienstag,
der 9. Mai
     
    Am späten Nachmittag wurde die Hitze des Tages langsam erträglicher. Er
lehnte sich an die rostige Reling, um dem Anlegemanöver zuzuschauen. Die Fähre
drehte sich träge um die eigene Achse und trieb langsam auf die Kaimauer zu.
Als sie mit dem Heck dagegen stieß, ging ein kurzer Ruck durch den Rumpf. Die
Matrosen warfen armdicke Schiffstaue über Bord. Am Ufer wurden sie von Männern
gepackt und um dicke Holzpoller gelegt.
    Vor
fünf Stunden war Hashim Yemosch in der kleinen, türkischen Ortschaft Tatvan an
Bord gegangen. In den letzten beiden Tagen hatte der Kurde ein feines Gespür
dafür entwickelt, dass ein unscheinbarer Schatten ihm auf Schritt und Tritt
folgte. Er hatte die Nähe der Person deutlich im Rücken wahrgenommen. Wenn er
sich ruckartig blitzschnell umgedreht hatte, glaubte er immer, sie verschwinden
zu sehen, konnte aber nie wirklich etwas mit dem Auge ausmachen. Er hatte das
unangenehme Gefühl mit auf diesen maroden Kahn genommen, war gleich bis ins
Vorderdeck durchgegangen und hatte sich auf eine einsame Holzbank verkrochen.
Von dort aus konnte er alle Türen und Treppen fest im Blick behalten. Seine
Hand hatte er intuitiv auf den Griff des Dolches gelegt, den er immer in seinem
Gürtel stecken hatte. Ihm war ein altes Sprichwort seiner Landsleute
eingefallen: ›Kurden kennen keine Freunde!‹
    Mit
einem lang gezogenen Signalton hatte die Sultan Murat pünktlich
abgelegt. Erst nach einer Stunde Fahrt, als er weiterhin mutterseelenallein
geblieben war, hatte er eine leichte Entspannung gespürt. Der Kurde hatte sich
getraut, von der Bank aufzustehen, um den Blick über den blauen Van-See gleiten zu lassen. Die Wasseroberfläche war spiegelglatt gewesen. An der
Uferlinie wurde die wilde Berglandschaft Ostanatoliens in der Mitte
zerschnitten wie eine Spielkarte, oben real und unten kopfüber. Er hatte diesen
einzigartigen Anblick emotionslos an sich vorbeiziehen lassen. In seiner
Erinnerung waren die Bilder von seiner Abreise in Ankara aufgetaucht, er hatte
die vielen Reisenden am Busbahnhof vor sich gesehen, die im Wirrwarr von
Karrenbesitzern, Losverkäufern und Gepäckträgern zum richtigen Bus hasteten. Er
hatte geglaubt, wieder das Brodeln aus Hupen, Rufen, Lautsprecherstimmen und
Geschrei zu hören.
    Es
lag bereits eine Woche zurück, dass er zu dieser Recherchereise mitten ins Herz
Kurdistans gestartet war, um endlich sein neues Buch abzuschließen. Das
Manuskript Übergriffe des türkischen Militärs gegen die

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