Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
kurdische
Zivilbevölkerung war kurz vor der Vollendung gewesen, als er von einem
Oppositionellen den Tipp bekommen hatte, wie er an Gespräche mit unzufriedenen,
türkischen Soldaten herankommen könnte, die ihren Wehrdienst in Diyarbakir und
Van absolvieren mussten.
Während der langen
Busfahrt über die staubige Straße nach Diyarbakir hatte die Sonne erbarmungslos
auf das Blechdach gebrannt. Der fettleibige Fahrer, dessen vergilbter
Hemdkragen von Schweißflecken gezeichnet war, hatte in ohrenbetäubender
Lautstärke seine gesamten musikalischen Vorlieben den Mitfahrenden präsentiert.
Zu seinen verzückten Gesten waren anatolische Balladen mit schmachtenden Geigen
von kurdischen Barden abgelöst worden, deren schwermütige Stimmen selbst ihn
melancholisch machten. Monoton, Musikstück für Musikstück war die Zeit vergangen.
Eine lange Strecke war der Bus durch eine trostlose Landschaft mit Hügeln aus
erstarrter Lava gefahren. Nach zirka dreieinhalb Stunden waren sie durch Kir s ehir gekommen. Die Sonne
war langsam hinter einer Bergkette versunken. Hashim hatte den Sitz zurück geklappt
und versucht, trotz des Lärms die Augen zu schließen. Er war jedoch hellwach
geblieben.
Ihm
war Leyla Zana eingefallen, die junge Kurdin aus Diyarbakir. 1991 war sie legal
ins Parlament gewählt worden. Zuerst hatte sie noch wie üblich die Eidesformel,
für die unteilbare Einheit des Landes zu wirken , gesprochen, um danach
mit ihrer Andeutung: »Ich leiste diesen Eid auf die Brüderlichkeit des
türkischen und kurdischen Volkes« die gesamte Türkei in helle Aufregung zu
versetzen. Sofort waren Leyla und die anderen Abgeordneten der pro-kurdischen HEP als politischer Arm der PKK bezichtigt worden. 1994 hatte man ihre
parlamentarische Immunität aufgehoben. Ministerpräsidentin Tansu Ciller hatte
lauthals verkündet: »Ich habe die Verräter aus dem Parlament geworfen.« Noch im
selben Jahr wurde Leyla in Ankara wegen Separatismus zu fünfzehn Jahren Haft
verurteilt.
Nichts
Ungewöhnliches in der heutigen Türkei. Wer sich für die kurdische Sache
einsetzte, lebte gefährlich. Das hatte er selbst am eigenen Leib zu spüren
bekommen. Ihm waren die Praktiken des DAL , dem so genannten Laboratorium
für wissenschaftliche Forschungen in Ankara, schmerzhaft in Erinnerung
geblieben. Mehrmals war er dort von der Polizei brutal zusammengeschlagen
worden. Er wusste, dass sie ihn noch immer auf ihrer Liste hatten, dass diese
Reise nach Kurdistan nicht ohne Risiko war.
Am
Morgen, als er übermüdet und mit verkanteten Knochen auf seinem Sitz gehockt
hatte, waren am Fenster steppenähnliche Felder vorbeigezogen, auf denen Tabak
und Baumwolle angebaut wurden. Danach führte die Straße wieder in die Berge und
plötzlich hatte die auf einem Basaltplateau erbaute Provinzhauptstadt
Diyarbakir vor ihnen gelegen. Die Morgensonne hatte den schwarzen Basalt der
alten Stadtmauer zum Glänzen gebracht und der Stadt das Aussehen einer
bedrohlichen Festung verliehen. Als der Reisebus durch das von zwei gewaltigen
Türmen flankierte Harput-Tor gefahren war, konnte er einen kurzen Blick
auf den Tigris werfen. Die Uhr hatte genau 17.01 Uhr gezeigt. An der Ecke Gazi
Cag und Melek Ahmet Pasa Cad war er ausgestiegen und hatte sich für den Rest
der Zeit in das kleine Teehaus an der rechten Straßenseite gesetzt. Pünktlich
um 17.30 Uhr war der Soldat in seiner olivgrünen Uniform auffallend langsam
vorbeigeschlendert. Hashim hatte ihn an seinen Tisch gewinkt.
»Sükrü
Chemal?«
»Keine
Namen!«, hatte der Soldat erschrocken geflüstert, als er an seinem Tisch Platz
genommen hatte. Hashim hatte ihm wortlos eine braune Papiertüte mit
Lirascheinen herübergeschoben. Der Soldat hatte hineingeschaut und genickt.
Nachdem der Wirt im gegürteten Kattunoverall mit bauschiger Hose und
schwarzroter Kurdenweste den Çay serviert hatte und schon lange wieder
verschwunden war, hatte er endlich stockend begonnen:
»Nicht
… dass Sie mich falsch verstehen, … ich liebe mein Vaterland! Ich liebe diese
Nation! Aber … ich liebe auch mein Leben! Der Dienst in Kurdistan macht uns zu
Tieren, ganz allmählich! Da durchkämmt man zum Beispiel einen Wald. Plötzlich
nimmt einer unserer Soldaten ein Streichholz und zündet ihn einfach an, ohne
Grund, einfach nur so. Im Bericht steht später, flüchtende kurdische
Terroristen hätten den Wald mutwillig abgebrannt. Ich musste das dann
unterschreiben.«
Während
er eintönig erzählt hatte, war der jugendliche Körper
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