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Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen

Titel: Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wimmer Wilkenloh
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passiert
hat, erstreckt sich vor ihm das Wilde Moor . Das Naturschutzgebiet ist
geprägt von Königsfarnen und Flatterbinsen, die mit ihren Samenbüscheln einen
braunen Grundton über die Grünfläche streuen. An diesem unberührten Flecken
Natur hat Hagedorn seinen endgültigen Frieden mit Gott gemacht.
    Während
seine Frau im Sterben gelegen hatte, war sein Glaube das erste Mal auf eine
schwere Probe gestellt worden. In den qualvollen Schmerzen, die sie erleiden
musste, dem langsamen Zerfall ihres Körpers konnte er keine göttliche
Notwendigkeit mehr entdecken. Dabei waren ihm die Prüfungen seines Herrgottes
in der langen Amtszeit als Pastor immer ein Ansporn gewesen, zum Beispiel, als
die Führung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche ihn 1976 zu einem
vertraulichen Gespräch nach Rendsburg beordert hatte. Er hatte sich damals
nicht des Gedankens erwehren können, dass das, was ihm dort passierte, einen
Hauch von Inquisition darstellte. Er hatte auf einem Holzstuhl gesessen. Ihm
gegenüber, hinter einem mächtigen Eichentisch verschanzt, drei stattliche
Männer in schwarzen Roben.
    »Was
sagt der Herr im Markus-Evangelium zu uns?«, hatte Landesbischof Klaus Volland
eine lange Zeit des Schweigens unterbrochen. »Denn was hülfe es dem Menschen,
wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele?«
    »Wir
haben hier einige interessante Bilder zugesandt bekommen«, hatte der
Kirchenmann rechts neben dem Bischof ergänzt, der ihm nicht bekannt gewesen
war. »Auf den Bildern sind Sie zu erkennen, Pastor Hagedorn. Sie im Talar,
umringt von Polizeibeamten bei einer Bauplatzbesetzung!«
    »Die
können nur von den Demonstrationen gegen das Atomkraftwerk in Brokdorf
stammen.«
    »Dann
wissen Sie sicherlich auch, von wem diese Worte hier stammen«, war der Bischof
fortgefahren und hatte von einem Zettel abgelesen: »Die Schöpfung ist Gottes
Werk. Aber innerhalb dieser Schöpfung nimmt der Mensch eine zentrale Rolle ein.
Der Mensch ist das Werkzeug Gottes, er hat ihn mit einem freien Willen
ausgerüstet. Dieser freie Wille macht den Menschen zum aktivsten Mitarbeiter im
göttlichen Plan. Der Bau eines Atomkraftwerks stellt eine große Gefahr für den
göttlichen Plan dar. Deshalb sind so viele Menschen hier, um mit ihrem freien
Willen dagegen zu protestieren.«
    »Ja,
das hab ich geschrieben!«
    Die
Augen des Bischofs hatten arglistig über den Rand des Zettels gelugt, der
seinen sprechenden Mund verbarg. »Eine äußerst gewagte Interpretation des
göttlichen Plans, mein lieber Pastor Hagedorn. Meiner Meinung nach ist der
freie Wille des Menschen wesentlich mehr dazu geeignet, die Erkenntnis Gottes
zu erfahren, als Atomkraftwerke zu verhindern. Der Herr spricht: ›Kehre dich zu
mir, denn ich erlöse dich.‹«
    » Jesaja
44, 22 !«
    »Ich
freue mich, dass Ihr Glaube auf einem bibelfesten Fundament steht«, hatte der
Bischof mit einem herablassenden Unterton gesagt. »Wäre es deshalb nicht
angebrachter, die Verkündung von Gottes Worten ausschließlich auf ihre Itzehoer
Gemeinde und ihre wunderschöne St.-Laurentii-Kirche zu begrenzen?«
    »Gott
lässt mich nach meinem Gewissen handeln, Exzellenz! Selbst der Namensgeber
meiner Kirche, der Heilige Laurentius, wurde 258 in Rom wegen Widerstands gegen
die Obrigkeit auf einem glühenden Eisenrost zu Tode gefoltert.«
    Bischof
Volland hatte Pastor Hagedorn angeschaut, als ob er den abgefallenen Engel
persönlich vor sich hätte.
    »Gott
lässt seiner nicht spotten«, hatte er hervorgestoßen. »Denn was der Mensch sät,
das wird er ernten.«
     
    Die ersten Sonnenstrahlen brechen am Horizont durch die Wolkendecke.
Orange-gelbes Licht fällt schräg in das Pfeifengras und lässt den Bodennebel
aufleuchten. Er stapft den Feldweg entlang, der links und rechts von
Ohrweidengebüsch gesäumt wird. Vereinzelt ragt aus dem Gewirr der Äste eine Moorbirke
heraus. Hinter der nächsten Kurve taucht der kleine Aussichtsturm auf, der mit
seiner Reetverkleidung an eine afrikanische Kralhütte erinnert. Hagedorn
schlägt den Kragen seiner Jacke nach oben und tritt durch die Türöffnung ins
Dunkel. Die Leiter ist kaum zu erkennen. Er ertastet die Sprossen, steigt nach
oben zur Plattform und setzt sich auf die unbequeme Holzbank. Der Blick über
das Hochmoor macht sein Herz weit. Urplötzlich glaubt er, seine Frau an seiner
Seite zu spüren, wie sie nach seiner Seele fasst.
    »Selig
sind, die nicht sehen und doch glauben«, spricht ihre Stimme.
    Das
sind Worte des Herrn

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