Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
war.«
»Recht
haben ist auch eine Illusion!«
*
»Lassen die Blätter den Baum los, oder lässt der Baum seine Blätter
los?«, hört Swensen die fragende Stimme seines Meisters, nachdem er soeben mit
seinem Polo in der Kurve von der B 5 nach Husum ins Rutschen geraten ist. Die
Straße ist voller schmieriger Blätter. Dazu nieselt es ununterbrochen, seitdem
er Witzwort verlassen hat. Die Scheibenwischer quietschen vor sich hin, ziehen
breite Schlieren über die Frontscheibe. Die Lichter der entgegenkommenden
Fahrzeuge brechen sich in den Wasserperlen an den Rändern und blenden
unangenehm. Die angestrahlten Baumstämme glänzen am Fahrbahnrand. Die Kronen
sind fast kahl. Es ist Herbst.
Als
Swensen auf den Parkplatz neben dem Container steuert, nimmt er sich vor, noch
vor der Frühbesprechung mit dem türkischen Dolmetscher aus Flensburg zu
telefonieren und ihn darum zu bitten, in der Türkei nach der Identität eines
ehemaligen Soldaten zu recherchieren, der bei der Invasion auf Zypern dabei war
und ein auffälliges Feuermal unter dem rechten Auge hatte.
Das
feuchtkalte Wetter veranlasst ihn, einen kleinen Sprint bis zur Eingangstür
einzulegen. Im Gebäude geht er als Erstes schnurstracks zur Küchenzeile und
brüht sich seine Kanne grünen Tee. Noch scheint der Container wie ausgestorben.
Beim Blick auf die Uhr stellt der Kommissar fest, dass er gut zwanzig Minuten
zu früh ist. Er setzt sich im Büro in den Drehstuhl, lässt sich etwas nach
hinten kippen und beobachtet seinen Atem.
Der
Versuch, die Gedanken wie treibende Wolken durch sein Bewusstsein ziehen zu
lassen, aktiviert nur ein ganzes Wolkengebirge neuer Ideen. Je mehr er sich
bemüht, behutsam und geduldig zur Atmung zurückzukehren, umso mehr hetzen sie
ihn in einer wilden Jagd durch die zähen Ermittlungsfakten. Irgendwo hat er
gelesen, dass der Mensch bis zu 60.000 Gedanken am Tag produziert. Erst ein
Klopfen an die Bürotür ruft ihn in den Raum zurück.
Die
Tür geht auf. Hollmanns Schnauzergesicht zeigt sich im Türrahmen.
»Die
Blutspritzer vom Hof des Bauernhauses sind nicht von dem toten Tunesier. Das
LKA hat mir grade das DNA-Ergebnis gefaxt. Es konnte keiner registrierten
Person zugeordnet werden.«
»Irgendwie
hab ich das schon geahnt. Wäre ja auch zu einfach gewesen. Trotzdem, danke für
deine Bemühung, Peter.«
Er
beschließt, sich nach der Besprechung im Restaurant des Griechen umzusehen,
schenkt sich einen Tee ein und verbrennt sich beim Trinken die Zunge.
Du
bist ein lausiger Buddhist, denkt er. Deine Momente von Achtsamkeit kann man an
fünf Fingern abzählen. Na ja, wahrscheinlich fördert das ewige Springen
zwischen den beiden Fällen nicht gerade meine Konzentration.
Swensen
nimmt seinen Tee und geht über den Flur zum Konferenzraum. Colditz war beim
Friseur. Die kürzeren Haare betonen noch stärker seine ohnehin schon
ausgeprägte Männlichkeit. Mit ausdruckslosem Pokerface wartet der
Hauptkommissar, bis sich alle Kollegen in der Runde gesetzt haben, greift zu
einem Foto und hält es hoch.
»So
könnte der Unbekannte aus dem Moor ausgesehen haben!«, sagt er und wendet sich
spitzbübisch an Swensen. »Übrigens einen lieben Gruß von Frau Karl aus dem LKA
in Kiel.«
Ein
allgemeines Raunen entsteht. Einer der Flensburger pfeift bedeutungsvoll durch
die Zähne. Swensen blickt stoisch.
»Kommt
runter, Kollegen! Es war ein Gruß, keine Liebeserklärung! Die Frau hat sich am
Computer für uns ins Zeug gelegt und aus den Obduktionsbildern dieses Gesicht
gezaubert. Wir haben jetzt ein brauchbares Fahndungsfoto, das wir an die Presse
weitergeben können. Wäre doch gelacht, wenn sich da niemand meldet.
Irgendjemand muss den Mann doch kennen.«
»Herr
Swensen«, die säuselnde Stimme von Susan Biehl schwebt durch den Raum.
»Telefon. Ein Herr aus Flensburg für Sie, Immobilienmakler. Sie haben um einen
Rückruf gebeten, sagt der.«
»Endlich!«,
stöhnt Swensen auf und eilt zu Susan auf den Flur hinaus. »Legen Sie mir das
Gespräch ins Büro, bitte.«
Der
Kommissar kommt gerade durch die Tür, als schon das Telefon klingelt. Seitdem
er vor einer Woche auf dem Hof des Bauernhauses gewesen war und die
Blutspritzer entdeckte, hatte sich in ihm eine dunkle Vorahnung gehalten,
selbst nach dem negativen DNA-Bescheid war das nicht anders geworden.
Noch
weiß er nicht, als wie wahr sich dieses Gefühl erweisen wird, wie nah ihn die
kommenden Ereignisse an einen lebensgefährlichen Abgrund führen werden.
Er
nimmt das
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