Feuermal: Der zweite Fall für Jan Swensen
Husum ein Restaurant aufgemacht.«
»Signora Diete, Commissario, der Vecchia Cantina!«
Bruno
trägt den Toskana-Rotwein wie eine Trophäe an den Tisch. Er schenkt einen
Fingerbreit in Swensens Glas, verfolgt gespannt, wie der einen Schluck nimmt
und ihm zustimmend zunickt. Brunos Gesicht strahlt. Er eilt davon und kommt
sofort mit den dampfenden Tellern wieder zurück.
»Una volta Polenta und Lammragout für Signora Diete. Und einmal Bohnenpüree, Radicchio und Polenta für den
Commissario. Molto bene!«
Der
Geruch von Knoblauch und Parmesan breitet sich aus. Swensen und Anna greifen
zum Besteck. Bruno zieht sich diskret zurück. Sie speisen stumm. Swensen hat
die ganze Zeit das Bild des muskulösen Griechen vor sich, der wie ein Fels im
Verhörraum steht.
Der
klassische Patriarch, autoritär bis in die Knochen, hatte er damals gedacht.
Kein Wunder, dass die Tochter Widerstand leistet.
Jetzt,
nach Annas Erzählung, bröckelt seine voreilige Einschätzung. Er ist nur ein
Opfer, das mit seinen Leiden nicht klar kommt. Und das Mädchen ist eine
Täterin, die aus der Familie eines Opfers kommt. Ein Kreis hat sich
geschlossen, wie das bekannte Yin-Yang -Zeichen.
Ich könnte mit Staatsanwalt Rebinger reden, denkt er. Nicht dass der noch
mit diesem § 832 daherkommt und auf Vernachlässigung der Aufsichtspflicht
plädiert.
Ein
plötzliches Völlegefühl sagt Swensen, dass mit ihm etwas nicht stimmt. Das
Essen steht ihm bis zum Hals. Er legt Messer und Gabel auf den Teller, obwohl
der noch ziemlich gefüllt ist. Anna sieht ihn überrascht an.
»Ich
hab keinen Hunger mehr.«
»Ist
irgendwas passiert?«
»Nicht
direkt. Mir geht nur die furchtbare Geschichte dieses Griechen nicht aus dem
Kopf. Irgendwie hatte ich gerade so ein Gefühl, als wenn ich bei dem Verhör des
Mädchens beim Vater etwas Gewalttätiges wahrgenommen habe, etwas
Unversöhnliches.«
»Hoffentlich
hast du durch mich jetzt kein falsches Bild von ihm bekommen.«
»Nein,
genau das Gegenteil ist passiert«, sagt Swensen, holt seinen Notizblock aus der
Jackentasche und schlägt ihn auf. Mit lockerer Hand zieht er mit dem
Kugelschreiber eine gewellte Linie aufs Papier.
»Als
Eiderstedterin weißt du bestimmt, was das ist, oder?«
»Klar,
die Küstenlinie von Husum bis Tönning.«
»Bist
du sicher?«
»Was
soll das? Natürlich bin ich sicher!«
»Hab
ich jetzt das Land oder das Meer gezeichnet?«
»Das
Land … nein, könnte auch das Meer sein. Genau genommen zeigt es beides.«
»Genau,
die Linie zeigt nicht nur die Trennung von Land und Meer, man sieht auch, wo
Land und Meer sich berühren. Land und Meer ist eine Linie, die im selben Moment
entsteht. Ich denke, so könnte man das gesamte Leben begreifen. Alles entsteht
gleichzeitig und in wechselseitiger Abhängigkeit.«
»Das
mag ja stimmen, Jan. Aber was hat das jetzt mit dem Mann meiner
Griechischlehrerin zu tun?«
»Da
will ich gerade drauf kommen. Beim Verhör hab ich den Gewaltimpuls dieses
Griechen nur als einen Schutzinstinkt für seine Tochter gesehen.«
»Ich
bin mir ziemlich sicher, dass es auch so war!«
»Du
hast ja recht, Anna! Aber das ist nur das Land! Und das Meer? Gegensätze sind
nicht getrennt. Es gibt kein Schwarz und Weiß, kein Gut und Böse, kein Richtig
und Falsch.«
»Sagt
Buddha, wenn ich mich nicht irre?«
»So
ist es. Wir trennen alles und sitzen dabei einer Illusion auf. Guck dir das
Wattenmeer an. Das Rippelmuster existiert nur, weil sie einen Kamm und ein Tal
haben. Ohne einen Kamm gibt es kein Tal.«
»Und
was ist jetzt das Gegenstück zum Mann meiner Lehrerin?«
»Der
Täter!«
»Was!?«
»Wir
wissen, dass er ein Opfer ist. Seine Eltern wurden von den Türken ermordet.
Vielleicht hat er den Täter damals gesehen!«
»Das
könnte ja sein, aber ich verstehe trotzdem nichts mehr.«
»Es
gibt Opfer und Täter. Aber Opfer kann auch Täter sein, oder ein Täter kann zum
Opfer werden.«
»Jan
Swensen, wovon redest du?«
»Ich
hatte gerade eine Idee. Wir haben ein Opfer, dem die Hand abgeschlagen wurde.
Wir wissen nur, dass unser Opfer ein Südländer war. Was wäre, wenn er früher
ein Täter war?«
»Jan
Swensen, das ist eine absurde Idee!«
»Das
könnte endlich ein Motiv liefern!«
»Du
hast nicht den geringsten Beweis für so eine Behauptung!«
»Stimmt!
Aber wenn ich recht hätte? Zum Beispiel: unser Opfer wäre ein Türke, vielleicht
müssten wir dann nach einem türkischen Soldaten suchen, der damals bei der
Invasion auf Zypern dabei
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