Feuermale
gerissen und auf zuviele Teile des Landes verstreut war. Er hatte nicht die Zeit, sich auf die Jagd nach den Teilen zu begeben. Er konnte nur so tun, als wäre er intakt und hoffen, daß ihn nicht zuviele Menschen durchschauten.
»Kommen Sie in der Sache irgendwie voran? Haben Sie schon einen Verdächtigen entwickelt? Sie wissen doch, wonach Sie suchen, oder? Das ist doch alles ziemlich klar, oder?«
Klar war es das. Wenn man die Morde an den zwei
Prostituierten betrachtete und die Tatsache ignorierte, daß Peter Bondurants Tochter möglicherweise das dritte Opfer war oder auch nicht. Wenn man sich einredete, Bondurants Verhalten wäre normal. Wenn man keine hundert unbeantworteten Fragen über das Rätsel Jillian Bondurant hätte. Wenn es hier einfach um den Mord an Prostituierten ginge, hätte er das Profil einem Sachbuch entnehmen können, ohne sich aus Quantico fortzubewegen.
Aber wenn es hier nur um den Mord an zwei Prostituierten ginge, dann hätte keiner je sein Büro angerufen.
Er würde ohnehin nicht mehr schlafen können, also putzte er sich die Zähne, duschte, zog eine Jogginghose und sein Sweatshirt von der Academy an. Er setzte sich mit dem Mordbuch und einer Flasche Antacid an seinen Schreibtisch, damit er beim Lesen direkt aus der Flasche trinken konnte.
Zwischen den Seiten stak das Päckchen mit Fotos, das Mary Moss von Lila Whites Eltern bekommen hatte. Fotos von Lila White, lebendig und lachend bei der Geburtstagsfeier ihrer Kleinen. Ihr Lebensstil hatte sie vorzeitig altern lassen, aber es war leicht zu erkennen, was für ein hübsches Mädchen sie vor den Drogen und den desillusionierten Träumen gewesen sein mußte. Ihre Tochter war ein Püppchen mit blonden Zöpfen und einem Elfengesicht. Ein Schnappschuß hatte Mutter und Tochter in Badeanzügen in einem Plastikplanschbecken eingefangen: Lila auf Knien, das kleine Mädchen im Arm, beide mit demselben schiefen Lächeln.
Das zu sehen mußte ihren Eltern doch das Herz brechen, dachte Quinn. Im Gesicht des Babys würden sie ihre Tochter sehen, die von früher, als ihre Welt noch sonnig und voller wunderbarer Möglichkeiten gewesen war. Und in Lilas Gesicht würden sie die Falten harter Lektionen, Enttäuschung und Versagen sehen. Und die Hoffnung auf etwas besseres. Hoffnung, die mit einem brutalen Tod belohnt worden war, nicht lange, nachdem dieses Foto aufgenommen wurde.
Quinn seufzte, als er das Foto unters Lampenlicht hielt, sich Lila Whites Gesicht einprägte: ihre Frisur, das schiefe Lächeln, der kleine Höcker auf dem Nasenrücken, der Schwung, wo ihre Schulter auf den Hals traf. Sie würde sich zu den anderen gesellen, die ihn im Schlaf verfolgten.
Als er gerade das Bild beiseite legen wollte, stach ihm etwas ins Auge. Halb verdeckt durch den Träger ihres Badeanzuges war eine kleine Tätowierung auf ihrem oberen rechten Brustkorb. Quinn holte seine Lupe und hielt den Schnappschuß unters Licht, um ihn genauer anzusehen.
Eine Blume. Eine Lilie, glaubte er.
Mit einer Hand blätterte er den Mordkatalog durch bis zu den Autopsiefotos von Lila White. Ein Drittel der Fotos waren die des Opfers, das man für Jillian Bondurant hielt.
Trotzdem fand er, was er suchte: die Aufnahme eines Stück Fleisches von Lila Whites oberer rechter Brusthälfte – und keine Tätowierung in Sicht.
Kate saß zusammengekuschelt auf dem alten grünen Ledersofa in ihrem Arbeitszimmer, mit einem weiteren Glas Sapphire neben sich auf dem Tisch. Sie hatte aufgehört zu zählen. Es war ihr egal.
Das Zeug nahm dem Schmerz, der sie von mehreren Fronten attackierte, die scharfen Kanten. Alles andere war heute abend unwichtig.
Wie konnte es angehen, daß ihr Leben plötzlich eine so scharfe Linkskurve nahm? Alles war so glatt gelaufen und dann BAM! Neunzig Grad hart steuerbord und alles fiel aus den kleinen ordentlichen Fächern und vereinte sich zu einem Chaos, das ihr bis zum Hals stand. Sie haßte das Gefühl, keine Kontrolle darüber zu haben. Sie haßte es, daß die Vergangenheit ihr von hinten in die Beine fuhr.
Alles war so gut gelaufen für sie. Konzentriere dich nach vorn, auf das, was dich an diesem Tag erwartet, in dieser Woche. Sie versuchte, nicht zuviel über die Vergangenheit nachzudenken. Sie versuchte, nie an Quinn zu denken. Sie hatte sich nie und nimmer die Erinnerung an seinen Mund auf ihrem erlaubt.
Sie hob die Hand und berührte ihre Lippen, hatte das Gefühl, dort seine Hitze noch zu spüren. Sie nahm noch einen Schluck von ihrem
Weitere Kostenlose Bücher