Feuermale
jetzt, während sie versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Angie saß auf den Knien und jaulte wie ein Tier, schlug sich immer und immer wieder mit ihren blutigen Händen auf den Kopf.
Blut tränkte die Schenkel ihrer Jeans und sickerte aus den Wunden, die sie mit dem Messer geschnitten hatte.
»Mein Gott«, murmelte Kate, erschüttert von dem Anblick. Sie wich zum Schreibtisch zurück, wandte sich zum Telefon.
Rob stand einen Meter entfernt und starrte das Mädchen mit einem seltsamen Interesse an, wie ein Wissenschaftler, der ein Versuchskaninchen betrachtet.
»Red mit uns, Angie«, sagte er leise. »Sag uns, was du fühlst.«
»Himmel nochmal, Rob«, keifte Kate, als sie den Hörer nahm. »Lassen Sie sie in Ruhe! Gehen Sie in die Küche und holen Sie ein paar Handtücher.«
Statt dessen ging er zu Angie, holte einen zwanzig Zentimeter langen Totschläger aus der Jackentasche und schlug ihr damit auf den Rücken. Das Mädchen schrie und fiel zur Seite, bäumte ihren Rücken als versuchte sie, dem Schmerz zu entrinnen.
Kate stand fassungslos da und starrte ihren Boß mit offenem Mund an. »Wwas…?« begann sie, dann schluckte sie und fing noch einmal an. Ihr Puls raste. »Was zum Teufel ist denn mit Ihnen los?« fragte sie, atemlos vor Erstaunen.
Rob Marshall richtete mit unverhohlenem Haß den Blick auf sie. Seine Augen glühten geradezu davon. Der Blick durchfuhr Kate wie ein Schwert. Sie spürte, wie Verachtung in heißen Wogen von ihm rollte, konnte riechen, wie sie aufstieg, sauer und widerlich, aus allen Poren. Sie stand da, die Zeit zog sich in die Länge, alle Instinkte erwachten zum Leben, als sie merkte, daß das Telefon tot war.
»Du respektierst mich nicht, Kate, du Scheißfotze«, sagte er mit leiser, knurrender Stimme.
Die Worte und der Haß dahinter trafen sie wie eine Faust, betäubten sie für einen Augenblick, dann fielen die Stücke an ihren Platz und ließen sie erheben.
»Wer hat dich gewürgt, Angie? Kennst du den Kerl?«
»Klar… Sie auch…«
»Schon in Ordnung, Angie. Du bist jetzt in Sicherheit.«
»Du dämliches Luder. Jetzt bist du tot.«
Rob Marshall? Nein. Die Vorstellung schien geradezu lächerlich. Beinahe. Abgesehen davon, daß das Telefon funktioniert hatte, bevor er aufgetaucht war, und er jetzt mit einer Waffe in der Hand vor ihr stand.
Sie legte den Hörer auf.
»Ich hab die Schnauze voll von dir«, sagte er ganz verbittert. »Zicken, zicken, zicken. Nörgeln, nörgeln, nörgeln. Mich runtermachen. Auf mich runterschauen.«
Er stand auf den Opferkundeberichten, die auf dem Boden verstreut waren. Jeder ist das Opfer von irgend etwas. Sie hatte das ein halbes Dutzend Mal gedacht heute morgen, als sie die Berichte durchgegangen war, aber sie hatte es nicht genau genug untersucht.
Lila White war das Opfer einer Körperverletzung gewesen.
Fawn Pierce war Opfer einer Vergewaltigung gewesen.
Melanie Hessler, ein weiteres Vergewaltigungsopfer.
Irgendwann waren sie alle mit dem Opfer/Zeugen-Programm in Berührung gekommen.
Die einzige, die nicht paßte, war Jillian Bondurant.
»Aber Sie sind Betreuer für Opfer, um Himmels willen«, murmelte sie.
Ein Betreuer, der sich auf Grund seiner Stellung Berichte über Berichte anhörte von Menschen – hauptsächlich Frauen -, die man zum Opfer gemacht, geschändet, geschlagen, vergewaltigt, erniedrigt hatte.
Wieviele Male hatte er sie gezwungen, sich die Vernehmungsbänder von Melanie Hessler anzuhören? Rob hatte eindringlich zugehört, das Band zurückgespult, Passagen davon immer und immer wieder gespielt.
Mit einem Mal war sie im Geiste in Kovács Wagen am Hessler Tatort und hörte sich die Minikassette an, die der Mörder verloren hatte. Melanie Hessler, wie sie um ihr Leben flehte, in Agonie schrie, um den Tod bettelte.
Sie dachte daran, wie Rob sich den verkohlten Leichnam angesehen hatte und ganz aufgeregt, scheinbar völlig durcheinander zurückgekommen war. Aber das, was sie irrtümlich als Entsetzen gedeutet hatte, war in Wirklichkeit Erregung gewesen.
Oh, mein Gott.
Galle stieg ihren Rachen hoch, als jede miese Bemerkung, die sie ihm an den Kopf geworfen hatte, ihr wieder einfiel.
Oh, Gott, ich bin tot.
»Tut mir leid«, sagte sie, während sie wie rasend Fluchtmöglichkeiten durchspielte. Die Eingangstür war
nur dreieinhalb Meter entfernt den Gang hinunter.
Ekel huschte wie ein Krampf über Robs Gesicht. Er kniff die Augen fast vollständig zu, sah aus, als hätte er gerade eine Nasevoll von einer
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