Feuermale
Jillian war, hatte sie das Abendessen, das sie mit ihrem Vater vor ihrem Tod gegessen hatte, verdaut. Ihr Körper war frei von Krankheiten und natürlichen Defekten. Stone schätzte ihr Alter zwischen zwanzig und fünfundzwanzig. Eine junge Frau, die fast noch ihr ganzes Leben vor sich hatte, bevor sich ihre Wege mit denen des falschen Mannes kreuzten.
Dieser Typ von Mörder suchte sich nur selten ein Opfer, das bereit war zu sterben.
Quinn ließ sich diese Tatsache durch den Kopf gehen, als er auf dem nassen Asphalt der Auffahrt zum Leichenschauhaus stand. Die feuchte Kälte der Nacht sickerte in seine Kleidung, in seine Muskeln. Nebel hing wie ein dünnes weißes Leichentuch über der Stadt.
Es gab zu verdammt viele Opfer, die junge Frauen waren: hübsche junge Frauen, normale junge Frauen, Frauen, die alles noch vor sich hatten und Frauen mit nichts in ihrem Leben, als einem Funken Hoffnung auf etwas Besseres. Alle von ihnen zerbrochen und verschwendet wie Puppen, mißbraucht und weggeworfen, als hätte ihr Leben nichts bedeutet.
»Ich hoffe, es liegt Ihnen nichts an dem Anzug«, sagte Kovác, als er sich zu ihm gesellte und eine Zigarette aus einem Päckchen Salem Menthols fischte.
Quinn sah an sich hinunter. Er wußte, daß der Gestank gewaltsamen Todes jede Faser seiner Kleidung durchtränkt hatte. »Berufsrisiko. Ich hatte keine Zeit, mich umzuziehen.«
»Ich auch nicht. Das hat meine Frauen immer zum Wahnsinn getrieben.«
»Frauen-Plural?«
»Hintereinander, nicht nebeneinander. Zwei. Sie wissen ja, wie das ist – der Job und so weiter… Auf jeden Fall hat meine zweite Frau das immer Leichenklamotten genannt – was immer ich zu einem Tatort voller Verwesung oder einer Autopsie oder sowas getragen habe. Sie hat mich gezwungen, mich in der Garage auszuziehen. Man hätte meinen mögen, daß sie die Kleider dann verbrannt oder in den Müll gesteckt hätte, anziehen durfte ich sie nämlich garantiert nicht mehr. Aber nein. Sie hat das Zeug in Kartons gepackt und zur Selbsthilfe gebracht – weil sie ja noch nicht abgetragen waren, sagte sie.«
Er schüttelte erstaunt den Kopf. »Dank ihr sind in ganz Minneapolis arme Leute mit Klamotten herumgelaufen, die nach Leichen stanken. Sind Sie verheiratet?«
Quinn schüttelte den Kopf.
»Geschieden?«
»Einmal, vor langer Zeit.«
Vor so langer Zeit, daß sein kurzer Versuch einer Ehe mehr wie ein halb vergessener böser Traum schien und nicht wie eine Erinnerung. Darüber zu reden war, wie gegen einen Haufen Asche treten, alte Brocken emotionalen Mülls in seinem Inneren aufwühlen – Gefühle von Frust und Versagen und Reue, die längst erkaltet waren.
Gefühle, die stärker wurden, wenn er an Kate dachte.
»Jeder hat eine«, sagte Kovác. »Das liegt am Job.«
Er bot ihm die Zigaretten an. Quinn lehnte ab.
»Gott, ich muß diesen Geruch aus meinem Mund kriegen.«
Kovác füllte seine Lungen und absorbierte ein Maximum an Teer und Nikotin, bevor er ausatmete und den Rauch über seine Zunge rollen ließ. Er schwebte davon und vereinte sich mit dem Nebel. »Also, glauben Sie, daß das da drin Jillian Bondurant ist?«
»Könnte sein, aber es besteht die Chance, daß sie es nicht ist. Der Täter hat sich verdammt viel Mühe gegeben, damit wir keine Abdrücke kriegen.«
»Aber er läßt Bondurants Führerschein am Tatort. Also hat er vielleicht Bondurant entführt, ist dann drauf gekommen, wer sie ist und hat beschlossen, sie zu behalten, Lösegeld zu fordern«, überlegte Kovác. »Inzwischen hat er eine andere Frau aufgegabelt, bringt sie um und läßt Bondurants Führerschein bei der Leiche liegen, um zu zeigen, was passiert, wenn Daddy nicht blecht.«
Kovác kniff die Augen zusammen, als ließe er die Theorie noch einmal Revue passieren. »Keine
Lösegeldforderung soweit wir wissen, und sie wird seit Freitag vermißt. Trotzdem, vielleicht… Aber Sie glauben das nicht.«
»Ich hab es noch nie so erlebt, mehr nicht«, sagte Quinn.
»In der Regel hat man bei diesem Typ Mörder einen Killer, der nur eins im Sinn hat: seine Fantasie ausleben.
Das hat nichts mit Geld zu tun – für gewöhnlich.«
Quinn wandte sich etwas mehr zu Kovác. Er wußte, daß dies das Mitglied der Soko war, das er am dringendsten für sich gewinnen mußte. Kovác war der Leiter der Ermittlungen. Sein Wissen um diese Fälle, diese Stadt und die Art von Kriminellen, die in ihrem Unterleib hausten, wäre unschätzbar. Das Problem war, Quinn wußte nicht, ob er noch
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